Stoer die feinen Leute nicht
herrschte einiger Trubel; Boten und Lieferwagen warteten auf die ersten Exemplare.
Dann saß sie in einem kleinen Zimmer, umgeben von Büchern, Zeitungen, Manuskripten, Matern und Plakaten, und Corzelius kochte Tee.
Katja hatte die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und ihr Gesicht in die Handflächen gebettet. Wieder das Gefühl von Schuld und Leere, wie vorhin. Sie kam sich vor wie eine Ehefrau, die an der Seite eines anderen ihren Mann verlassen hatte und nun zurückgekehrt war, enttäuscht, gebrochen und auf Vergebung hoffend.
Corzelius war verständnisvoll, spielte eine aus den Elementen Bruder, Beichtvater und Liebender feinfühlig gemischte Rolle.
Sie erzählte ihm alles.
Er stand auf, strich ihr über das Haar und drückte sie an sich.
„Ach, Katja!“
„Was meinst du, was soll ich machen?“
Für beide war das Du jetzt selbstverständlich.
Corzelius zuckte die Achseln. „Ich rufe erst mal im Krankenhaus an…“
Er tat es, und mit der Autorität eines einflußreichen Lokalreporters bekam er bald heraus, daß es um Lemmermann zum Glück nicht ganz so schlimm stand, wie es im ersten Augenblick ausgesehen hatte.
„Gehirnerschütterung, zwei Rippen gebrochen, Schnittwunden im Gesicht.“
„Gott sei Dank!“
Ein kurzes Gespräch mit der Polizei ergab, daß Katja richtig gesehen hatte: unter Lemmermanns Wagen war ein Sprengkörper explodiert. Corzelius machte sich ein paar Notizen, sagte aber nichts dazu.
Er sah sie an. „Ist dir schon aufgefallen, daß Lemmermann den gleichen Wagen hat wie du? Einen Karmann Ghia, weinrot wie deiner und auch noch mit einer Berliner Nummer.“
„Das ist kein Weinrot, das ist…“
„Im Dunkeln schwer zu unterscheiden.“
Sie verstand, sie wurde blaß. „Du meinst…?“
„Wie ist deine Nummer?“
„B – DF 2472.“
„Und seine ist…“ Corzelius wühlte in seinen Zetteln. „Seine ist B – OF 2422 – aha! Das ist im Dunkeln kein großer Unterschied… Ganz klar: die wollten dich in die Luft jagen.“
„Ein Irrtum also…?“
„Es spricht alles dafür.“
„Aber Lemmermann hatte doch auch Feinde genug. Die Anschläge auf seinen Laden… Das sieht doch ganz nach Eskalation aus.“
„Ja…“ Corzelius nickte. „Ja, das hat auch einiges für sich. Aber irgendwie… Also, ich bin sicher, sie wollten dich treffen – frag mich nicht, wieso. Gefühlssache. Ja, und dann haben sie die Ladung aus Versehen unter Lemmermanns Wagen angebracht.“
Katja hörte wieder die Stimme aus dem Telefon:… verschwinden Sie aus Bramme!… diesmal … nur… Stein… beim nächstenmal… Kugel… Es war kein großer Unterschied zwischen einem Geschoß und einer Sprengladung.
„Da will dich jemand mit aller Gewalt aus der Stadt vertreiben“, sagte Corzelius. „Dein feiner Vater! Der muß furchtbare Angst davor haben, daß alles rauskommt. Ergo: er muß allerhand zu verlieren haben.“ Er überlegte einen Augenblick. „Was hältst du davon, wenn ich deine Story morgen im Tageblatt bringe und sehe, daß wir ein paar Zeugen mobilisieren – oder jedenfalls Leute, die uns Tips geben können?“
„Nach 23 Jahren?“ Katja war skeptisch.
„Gerade. Die Zeit lockert die Zungen. Es mögen Leute darunter sein, die jetzt so fest im Sattel sitzen, daß sie nichts mehr zu befürchten haben, wenn sie reden. Und es werden andere da sein, die diesem oder jenem eines auswischen wollen. Es wird viel Gerede geben, und es wird in unserem Netz was hängenbleiben.“
„Wenn nun die Polizei…“
„Die hat was anderes zu tun; außerdem wird’s verjährt sein.“
„Lassen wir lieber Gras über die Sache wachsen.“ Katja war müde, unendlich müde.
„Um ein Haar wäre Lemmermann draufgegangen – oder du. Der Mann, der das getan hat, ist gemeingefährlich; wir müssen ihm das Handwerk legen. Und das geht nur, wenn sich gewisse Leute an gewisse Begebenheiten erinnern, die über zwanzig Jahre zurückliegen. Je mehr Leute sich den Kopf zerbrechen, desto besser für uns. Die Story ist so attraktiv, daß Bild sie übernehmen wird.“
Katja hatte einen Verdacht: „Dir geht’s wohl darum, die Sache journalistisch auszuschlachten?“
„Auch, ja.“ Corzelius lächelte. „Was dem einen sein Lemmermann ist dem andern seine Karriere; jeder will maximieren.“
Katja schwieg.
Corzelius streichelte ihre Hand. „Es ist auch das Beste für dich, glaub mir. Du darfst nicht weg aus Bramme; und wenn wir die Sache aufrühren, so richtig hochspielen, dann stehst du so im
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