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Stoer die feinen Leute nicht

Titel: Stoer die feinen Leute nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Da war überhaupt niemand. Der Platz vor der gläsernen Eingangstür war leer. Was sollte auch Corzelius hier, um diese Zeit.
    Sie schloß auf und vermied es, unnötigen Lärm zu machen. Lemmermann folgte ihr. Es war ein bißchen wie in einem St. Pauli-Film; die Schäbigkeit der Pension Meyerdierks paßte dazu. Für Katja war es erregend, für Lemmermann offenbar weniger. War es Routine bei ihm? Oder war er als Vater bestürzt darüber, was seine Tochter hier trieb? Womöglich hatte er sich ein Idealbild von ihr gemacht. Vielleicht sah er sie als brave Bürgerstochter, die inaktiv war und blieb und sich ihre Unschuld für die Hochzeitsnacht aufsparte.
    Dann saß, ohne daß sie sich später an Einzelheiten erinnern konnte, Lemmermann in ihrem Sessel, und sie stand vor dem Spiegel, um sich die Haare zu kämmen. Sie wußte, daß kaum ein Mann sich dem Zauber ihrer Bewegungen beim Kämmen entziehen konnte.
    Lemmermann konnte. Er las seelenruhig in dem Science-Fiction-Band, den er auf dem Sims über der Heizung entdeckt hatte, und wartete darauf, daß das Bier, über das kaltes Wasser strömte, eine annehmbare Temperatur hatte.
    Ihr war jetzt alles egal: entweder er kam zu ihr, oder er sagte ihr klipp und klar, daß er ihr Vater war… Irgendwann mußte er doch Farbe bekennen!
    Sie schöpfte all ihre Möglichkeiten aus; sie schaltete den Radioapparat ein und wählte zärtlich-intime Barmusik, sie knipste die grelle Deckenbeleuchtung aus und die matte Nachttischlampe an, sie trank aus der Bierflasche und reichte sie mit Spuren ihres Speichels weiter, sie setzte sich aufs niedrige Bett und schlug die Beine übereinander, sie sang mit rauchiger Stimme einen Schlager mit, der durch sein nanana eindeutig genug war, sie strich mit der flachen Hand über ihr Kopfkissen – doch Lemmermann reagierte nicht. Das heißt, er rückte den Sessel näher an die Nachttischlampe, um weiterlesen zu können. Er saß zurückgelehnt im Sessel, zog ruhig und in sich gekehrt an seiner Zigarette und entgegnete ihr selten mehr als „hm hm“ oder „ja“.
    „Sie haben ein interessantes Geschäft…“
    „Ja.“
    „Meistens Männer, die Kunden…“
    „Hm hm.“
    „Ich war noch nie in solchem Laden.“
    „Ach ja?“
    „Was wird denn am meisten verkauft?“
    „Gott – verschieden.“
    „Was finden Sie denn am besten?“
    Stummes Achselzucken.
    „Aktaufnahmen hat noch keiner von mir gemacht, aber als Mannequin habe ich schon gearbeitet – Miederwaren, Slips, Strumpfhosen…“
    „So?“
    Es war zum Heulen! Oder war es eher ein Grund zur Freude?
    „Mein Gott, was müssen Sie von mir denken! Nachts mit Ihnen hier allein im Zimmer… Wenn mein sittenstrenger Herr Vater das wüßte!“
    Keine Reaktion.
    „Aber Sie kann ja so schnell nichts erschüttern…“
    „Nun…“
    Er klappte das Visier nicht hoch; es war zum Haareausraufen. Mein Gott, womit brachte man ihn bloß aus seinem Schneckenhaus heraus!? War er impotent? War er homosexuell?
    Oder war er ihr Vater?
    Aber dann, verdammt noch mal, sollte er doch endlich sagen, daß er’s war! Da verfolgte er nun ihre Schau, und… Sie wurde langsam böse, daß sie sich hier so aufführen mußte, ohne… Ein letzter Versuch. Sie stand auf, verbeugte sich vor ihm, sagte lachend „Damenwahl!“ und zog ihn vom Sessel hoch.
    Im Radio spielten sie gerade Evergreens, sie hatte Glück. Als er endlich die Hand auf ihre Schulter gelegt hatte, war Moulin Rouge an der Reihe.
    Er tanzte miserabel, sie führte ihn wie eine Marionette. Sie merkte, wie sich alles in ihm sträubte, als sie seine Nähe suchte.
    Also doch!
    Sie ließ ihn unwillkürlich stehen, ließ ihn los. „Was ist nun?“
    Er sah sie an.
    Drei Minuten später hatte sie ihren Beweis.

 
    9
     
     
     
    Es war ein sehr schöner Beweis.
    Als Lemmermann kurz vor drei Uhr die Pension verließ, nannte sie ihn Lemmy und konnte sie davon ausgehen, daß ein anderer Mann ihr Erzeuger sein mußte.
    Ein neuer Tag dämmerte herauf. Sie stand am Fenster und winkte hinunter.
    Sein Zögern hatte einen plausiblen Grund gehabt: die Freundin in Berlin, der er Enthaltsamkeit im Brammer Exil versprochen hatte.
    Nun, zweimal war keinmal.
    Sagte Lemmy.
    Er wußte jetzt viel von ihr, aber er wußte nicht, auf Grund welcher Überlegungen er zu diesem Erlebnis gekommen war. Wenn er es erfuhr, war er sicherlich böse.
    Er schien ein wenig müde zu sein, als er nach einem hochgeworfenen Kuß die Knochenhauergasse überquerte und seinen Wagen auf dem

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