Stoer die feinen Leute nicht
Mittelpunkt, daß es zu gefährlich ist, dich…“ Er stockte.
„… zu ermorden, ja?“
„Katja!“
Sie erstarrte, blickte durch ihn hindurch.
„Was ist?“ fragte Corzelius.
„Wenn nun… Wenn sich nun diese Bernharda die ganze Geschichte bloß ausgedacht hat?“
„Ausgedacht? Warum?“
„Was weiß ich – um sich interessant zu machen, um jemand reinzulegen, ihn moralisch zu erledigen…“
Corzelius sprang auf. „Komm, das läßt sich nachprüfen. Das Archiv ist gleich nebenan.“ Er zog sie vom Stuhl hoch. „Rechne mal zurück: Wann müßte es passiert sein?“
Sie waren schon auf dem Gang, als sie es heraushatte: „So um Mitte Juli 1949 herum.“
„Okay!“ Corzelius schloß die Tür zum Archiv auf.
Sie brauchten nicht lange zu suchen, dann hatten sie den Band Brammer Tageblatt 3/1949 in der Hand.
Corzelius schlug die vergilbten Seiten um; sie stand neben ihm und überflog gierig die Lokalseiten.
„Es ist in der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag passiert, also müßte es in der Montagsausgabe stehen“, sagte Katja.
„Na klar…“
4. Juli 1949 – nichts.
11. Juli 1949 – nichts.
18. Juli 1949 – nichts!
„Dann hat Bernharda also gelogen“, sagte Katja. Sie sah Corzelius triumphierend an.
„Scheint mir auch so…“ Er blätterte trotzdem weiter. „Sehen wir mal den 25. nach.“ Er las halblaut die Überschriften: „Demontagen fördern den Kommunismus… Dr. Kurt Schumacher (SPD) verhinderte Bildung eines Rheinbundstaates… Kritik an Bevins Außenpolitik… Internationale Fälscherbande ausgehoben…“
„Nun mach doch!“
„Immer mit der Ruhe und dann mit ‘nem Ruck… Der Sportteil… Harry Saager gewann die Deutschlandfahrt… Und die letzte Seite… Hier! Na bitte!“
ÜBERFALL IM STADTPARK
Junge Frau Opfer eines Sittlichkeitsverbrechers / Täter entkommen Bramme, 25. 7. 1949. Eig.Ber. – In der Nacht zum Sonntag wurde die 19jährige Marianne M. aus Bramme von einem bisher unbekannt gebliebenen Mann auf dem Nachhauseweg überfallen, zu Boden geworfen und mißbraucht. Ihre Hilfeschreie blieben zunächst ungehört. Als ein Liebespaar, das sich auf einer Bank am Schwarzen See aufgehalten hatte, herbeieilte, war es zu spät. Während die Überfallene von einem Täter sprach, wollen der junge Mann und seine Freundin mindestens drei Personen gesehen haben. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei haben bisher zu keinem Ergebnis geführt. Wer am Sonnabend zwischen 22.00 Uhr und 22.30 Uhr in der Nähe der Bismarck-Eiche im Stadtpark verdächtige Personen wahrgenommen hat, wird gebeten, sich umgehend mit der nächsten Polizeidienststelle in Verbindung zu setzen.
„Komm, trink was“, sagte Corzelius.
Katja legte die Arme um seinen Hals und suchte einen Platz für ihren Kopf.
10
Kämena hatte Zahnschmerzen. Der sechste Zahn des rechten Unterkiefers spielte verrückt. Wahrscheinlich ein Granulom; er hatte sich gerade in seinem medizinischen Ratgeber informiert. Wenn es platzte, wurde der Eiter mit seinen ganzen Bakteriengiften durch den Körper geschwemmt und setzte sich dann irgendwo ab, in den Nieren vielleicht oder in der Leber. Bei ihm platzte das Dings bestimmt. Er hatte schon zweimal zum Telefon gegriffen, um sich bei Dr. Armsen anzumelden, aber jedesmal den Mut verloren. Armsen war dafür bekannt, daß er nicht viel von Zahnruinen hielt und lieber gleich zur Zange griff.
Da war tatsächlich schon ein dummes Ziehen in der Nierengegend. Also doch vereitert. Mein Gott, alle Welt war gesund, nur er war dauernd krank!
Dabei hatte der Tag ganz gut angefangen. Endlich hatten sie den Mann gefaßt, der seit Monaten Brammer Bürger, die mal schnell in Bremen oder Hamburg im Eros-Center oder im Palais d’Amour waren, mit anonymen Briefen an die Ehefrauen belästigte, der die Schutzmittel-Automaten in den öffentlichen Bedürfnisanstalten zerstörte, der den Brammer Gunstgewerblerinnen hinten an der Parkallee die Handtaschen mit dem Sündenlohn entriß und der in regelmäßigen Abständen Lemmermanns Schaufensterscheiben einschmiß und seine Auslagen in Brand steckte bzw. mit Kuhmist zudeckte.
Noch hatte der Sittenapostel nicht alles gestanden, aber Kriminalmeister Stoffregen klopfte schon, um den guten Menschen von Bramme zum zweiten Verhör vorzuführen.
„Ja, bitte…“
Ein Hinweis aus der Bevölkerung hatte zu seiner Festnahme geführt; genauer gesagt, die heldenhafte Tat dreier Rocker, die – was sie natürlich nicht zugaben – hinter
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