Stoerfall in Reaktor 1
Art Skelett, aus dem man mit genügend Zeit vielleicht einen Plan machen könnte. Und wenn zufällig Vin Diesel dabei wäre. Zur Not ginge auch Bruce Willis, aber Lukas und Hannah alleine gegen den Rest der Welt – das kann nicht funktionieren. Außerdem wird er das Gefühl nicht los, auf Schritt und Tritt beobachtet zu werden. Fast rechnet er damit, dass jeden Moment Koschinski und Müller auftauchen, ihm die Hände auf den Rücken binden, ihm ein schwarzes Tuch über den Kopf streifen und ihn in irgendeinen Keller bringen, der ihnen als Verhörraum dient und in dem Hannah schon auf ihn wartet. Mit Handschellen an ein Heizungsrohr gefesselt und mit deutlichen Spuren von Misshandlungen im Gesicht, am Hals, auf den Armen. Und als er dann am Donnerstag auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Krankenhaus tatsächlich einen schwarzen Audi sieht, der in einigem Abstand im Schritttempo neben ihm herschleicht, ist er kurz davor, noch am selben Abend zu Hannah zu gehen und ihr das Ganze auszureden.
Aber dann sitzt er bei Karlotta am Bett und sie plappert drauflos, dass sie zu Weihnachten vielleicht schon wieder ganz gesund ist und sie doch alle zusammen wegfahren könnten. Zum Skilaufen in die Berge. Und Lukas streicht ihr eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht und will gerade noch mal davon erzählen, wie er letztes Jahr mit dem Sportkurs zum Skilaufen gefahren ist und Jannik sich angestellt hat wie der letzte Idiot, als ihr plötzlich schlecht wird und sie sich heftig übergeben muss.
Keine Chance, denkt Lukas, während die Krankenschwester sich um Karlotta kümmert, ich kann nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Hannah hat recht, wir müssen es wenigstens versuchen …
Als er nach Hause fahren will, trifft er Karlottas Ärztin aus Wendburg auf dem Gang.
»Ich habe nicht vergessen, worüber wir beim letzten Mal geredet haben«, sagt sie leise, nachdem Lukas sich nach Karlotta erkundigt hat. »Und ich habe wieder ein neues Kind mit dem Verdacht auf Leukämie. Es reicht nicht, wenn wir einfach abwarten, bis das AKW vom Netz geht. Es muss jetzt etwas geschehen. Wenn du das ernst gemeint hast, dass du vielleicht meine Hilfe brauchst, dann kannst du auf mich zählen, ich werde auch öffentlich sagen, was ich denke.«
»Auch gegenüber jemandem von der Zeitung, zum Beispiel?«
Die Ärztin nickt. »Was immer nötig ist, um etwas zu verändern.«
»Gut«, meint Lukas. »Das wird sicher helfen. Ich weiß noch nicht genau, wann wir Sie brauchen können, aber gut zu wissen, dass Sie dabei wären.«
»Wer ist wir?«, fragt die Ärztin nach. »Ihr habt etwas vor, richtig? Hat es was mit der Selbsthilfegruppe deiner Mutter zu tun? Plant ihr da irgendwas? Nein«, setzt sie dann hinzu, als sie Lukas’ Gesicht sieht. »Deine Mutter weiß nichts davon, schon klar. Aber …«
»Ich kann im Moment nicht mehr sagen, tut mir leid. Aber ich melde mich bei Ihnen, ganz bestimmt sogar.«
Wenn ihre Aktion diesmal klappen sollte …
Am Freitag gibt es in der Schule nur ein Gesprächsthema: Den Tag der offenen Tür im AKW . Es haben sich zwei Lager gebildet, diejenigen, die es cool finden, dass Hannah mit ihrer Band auftreten wird, und die anderen, die ihr vorwerfen, dass sie null Verantwortungsbewusstsein hätte und ihr egal wäre, für wen oder was sie spielt, solange nur die Kohle stimmt. Lukas ist sich sicher, dass Jannik hinter dieser Gruppe steckt. Er und Alex. Und irgendetwas haben die beiden vor, sie hängen in den Pausen auffällig unauffällig mit ein paar anderen Leuten zusammen und treffen irgendwelche Absprachen. Wofür auch immer. Lukas hofft nur, dass sie nicht ausgerechnet etwas planen, was die Aktion von Hannah und ihm gefährden könnte.
Als sein Vater mittags von der Arbeit kommt, wirkt er so nervös wie schon lange nicht mehr. Lukas hat mehrmals das Gefühl, dass er ihm irgendetwas sagen will, aber dann reden sie nur darüber, dass Sabine angerufen hat und Karlotta eventuell in die Medizinische Hochschule in Hannover verlegt werden soll.
»Nächste Woche«, sagt sein Vater. »Dann müssen wir sehen, wie wir das organisiert kriegen. Sabine kann sich auch nicht noch länger beurlauben lassen, da macht die Schulleitung nicht mit. Aber vielleicht kommt ja sowieso alles ganz anders …«
»Hä?« Lukas guckt ihn verwirrt an. »Wovon redest du?«
»Ich leg mich einen Moment hin«, antwortet sein Vater ohne jeden Zusammenhang.
Als er verschwunden ist, bemerkt Lukas, dass ihn sein Vater noch nicht mal gefragt
Weitere Kostenlose Bücher