Stoerfall in Reaktor 1
könnte. Im Büro und so.« Darauf folgten nur hochgezogene Augenbrauen, dann ein Nicken, als hätte er ohnehin nichts anderes erwartet. Und dann die umgehende Weiterreichung an irgendeinen Assistenten. Lukas erinnert sich noch genau an die Kurzführung, die dieser Typ mit ihm gemacht hat. Ein Typ, den er unmöglich ernst nehmen konnte, ein Wichtigtuer mit Halbglatze und Hornbrille, der begeistert eine hohle Phrase nach der anderen vom Stapel gelassen und zwischendurch auch noch kleine Witzchen gemacht hat. Oder was er eben für witzig hielt: »Ich persönlich bin der Erste, der jedem, der unsere AKW s abschalten will, ein Fahrrad vor die Tür stellt, damit er für seinen Strom ordentlich strampeln kann!« Oder: »Wer keine besseren Argumente als Angst hat, der sollte lieber gleich wieder in die Höhle ziehen und Knochen abnagen. Aber dann nicht jammern, wenn er sich im Winter den Arsch abfrieren muss!« Und immer so weiter. Mit der ständigen Betonung auf das Wort »Sicherheit«. Alles war in den Augen dieses Typen sicher. Die Sicherheitsschleusen, die SicherheitsmaÃnahmen, die Sicherheitsbestimmungen. Weshalb es natürlich auch ausgemachter Schwachsinn sei, jetzt plötzlich ohne Notlage auf eine absolut sichere Technologie wie die Kernkraft verzichten zu wollen. Bis es Lukas endgültig gereicht und er völlig entnervt gesagt hat: »Das haben doch aber genau solche Leute wie Sie in Fukushima auch behauptet, wenn ich mich richtig erinnere.«
Und: Sendepause. Kein Wort mehr. Ende der Vorstellung. Aus. Vorbei. Und am Abend hat sein Vater ihn dann beiseite genommen und gesagt: »Hör mal, Lukas, ich weià nicht, was da heute genau los war. Aber zumindest hat man mich darauf angesprochen, ob das Praktikum bei uns wirklich das Richtige für dich ist. Oder ob du nicht lieber noch mal überlegen solltest, was es für Alternativen für dich geben könnte.«
»Was? Nur weil ich gewagt habe, das ganze Geschwätz von wegen âºalles ist sicherâ¹ anzuzweifeln? Was soll das denn?«
»So sieht es nun mal aus. Das ist die Firmenphilosophie, aber das ist ja in jedem groÃen Konzern genauso.«
»Firmenphilosophie, ja? Du meinst, du darfst keine eigene Meinung haben. Das ist es doch, was das bedeutet, oder?«
»Darf ich schon, ich sollte nur nicht unbedingt damit hausieren gehen. Denk mal drüber nach.«
»Brauche ich nicht«, hat Lukas das Gespräch beendet und die Tür zu seinem Zimmer zugeknallt. Er ist nicht nur sauer gewesen, sondern vor allem enttäuscht. Er fand, dass sein Vater einfach nur feige war. Und in derselben Nacht noch hat er einen Entschluss gefasst: Er würde sein Praktikum im AKW bis zum Ende durchhalten, ohne auch nur irgendwas zu sagen oder noch mal aufzufallen. Aber das hieà ganz bestimmt nicht, dass er aufgeben würde. Im Gegenteil. Jetzt erst recht. Sein Entschluss stand fest: Er würde so was wie einen kleinen Privatkrieg gegen das verdammte AKW anzetteln! Er und wer auch immer noch mitmachen würde. So ist dann auch die Aktion von letzter Nacht entstanden. Jannik und Alex waren sofort dabei, als er sie gefragt hat. Und Jannik ist auf die Idee mit dem gefakten Störfall gekommen. Und, ja, sie haben das Ding doch sauber durchgezogen! Allerdings hat Lukas nicht damit gerechnet, dass die Gegenseite so schnell reagiert, und sie keinen halben Tag später schon die Polizei am Hals haben. Oder den Staatsschutz oder für wen auch immer diese beiden Typen arbeiten â¦
»Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?«, reiÃt ihn sein Vater aus seinen Gedanken, fasst ihn am Arm und dreht ihn zu sich.
»Was? Nee, sorry, aber â¦Â«
»Wir müssen reden, Lukas! Hast du irgendwas mit dieser Aktion letzte Nacht zu tun? Ich muss das wissen. Weshalb waren diese beiden Leute bei uns? Was weiÃt du über die Geschichte mit dem Strahlenalarm und den Lautsprecherdurchsagen?«
»Auch nicht mehr als du, echt nicht! Wahrscheinlich irgendwelche Greenpeace-Typen, oder von Robin Wood oder so. War doch aber gut. Irgendwie müsst ihr doch begreifen, dass noch lange nicht alles okay ist, jedenfalls nicht, so lange das verdammte Teil da noch am Netz ist!«
Die letzten Sätze hat er fast gebrüllt. Und sein Vater weià ganz genau, dass auch er damit gemeint ist. Mit den Leuten, die zu allem immer nur schweigen, obwohl sie genau wissen, was los ist â¦
Aber er hört
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