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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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bestätigen, was längst bestätigt zu sein schien. Wir wollten Kogol ein neues Denkmal setzen.«
»Also hatten wir recht«, sagte sie leise. »Also haben wir unsere Leute nicht belogen. Die Wirklichkeit hat unsere Lüge ausgemerzt. Auf eine solche Erde werden sie vielleicht nicht zurückkehren wollen. Also müssen wir sie erneut belügen.«
»Belügt sie«, sagte er. »Nur wenn sie zurückkehren, können wir Kogol auf Dauer entlarven. Ich brauche euch.«
»Du?«
»Wir«, sagte er, »Simak und ich. Er ist jung. Er ist lenkbar. Ich werde ihn zu Einsichten zwingen. Er wird begreifen, daß nur die Wahrheit die Geschichte bewegt.«
»Dir glaube ich«, entgegnete sie. »Sieh dich vor vor ihm.«
Sie mußte etwas sehen, was er nicht sah. War es noch vertretbar, Simak nur für ein wenig schwach zu halten? Neigte er nicht dazu, sich stets auf die Seite der Stärkeren zu stellen? Aber waren sie, im Besitze der Wahrheit, nicht die Stärkeren? Wem nahmen sie einen Glauben? Er besänftigte seine Vorstellungen mit der Überzeugung, der Streit der Geister würde sein wie eine Explosion im Vakuum, kurz, heftig, lautlos. Kogols Name würde stillschweigend ausgelöscht werden.
Zurückkehrend entwickelte Simak aufdringliche Eile. Gould erklärte sie sich mit dem Diktat des Funktermins. In Kürze war eine Meldung an die Station fällig. Es schien auch alles gesagt zu sein. Jetzt mußten die Dinge ins Rollen gebracht werden, je schneller, desto besser. Unter diesem Aspekt respektierten alle Simaks Aufbruchhektik.
Auf dem Weg zur schwarzen Schleuse begleitete sie die gesamte Bevölkerung, schweigend und unnahbar wie eingangs, doch immerhin. Rechts und links von ihnen schritten Metahnel und Wendolin. Ihnen nach folgte in einigem Abstand der Zug der Plutonier.
Sie legten die Anzüge wieder an. Die in tierhafter Reglosigkeit verharrende Menge schaute zu. Es konnte Einbildung sein, aber Gould glaubte in dieser Haltung eine Feindseligkeit zu entdecken.
Wendolin und seine Frau folgten ihnen bis ans Ufer. Bevor Gould das Helmfenster schloß, flüsterte Metahnel ihm zu: »Solltet ihr uns bei eurer Rückkehr nicht mehr vorfinden, zwingt sie, diesen Ort zu verlassen, zwingt sie!«
Versinkend blickte Gould zurück. Ihre Augen begegneten sich, und ein großer Ernst breitete sich in ihm aus, eine Würde, die er früher nicht gekannt. Von ihm hing das Schicksal eines Volkes ab. Er lächelte über sich. Wie bedeutend er sich nahm! Sie waren ja zu zweit und zusammen unschlagbar.
Hinein in die Kälte, die Finsternis, den leeren Raum, tauchten sie auf. Noch einen Blick schenkten sie der Toten. Dann halfen sie sich, das Gepäck zu schultern, und machten sich auf den Weg.
Am Mauerdurchbruch angekommen, drehte sich Simak mit einer Abschied nehmenden Geste um, und prüfend glitten sein Blick und seine Hand über die Kante. Länger, als Gould notwendig erschien, verharrte er. Wenn seine Augen einmal zu ihm abirrten, bewegte er ruckhaft den Kopf. Gould wartete, ohne zu fragen. Simak schien in Gedanken versunken. Gould fühlte sich nicht ausgeschlossen. Ihn beschäftigten eigene Überlegungen zur Person Kogols, zur Geschichte, zu dem, was Menschen vermögen. Hier stand er, allein, hilflos, vor dem Werk eines Menschen. Eigentlich, dachte er, müßte meine Phantasie versagen vor soviel Scheußlichkeit. Wie schwach kann ein Mensch werden?
»Komm«, sagte Simak.
Nur die notwendigsten Hinweise wechselnd, stapften sie durch das Labyrinth. Sie fanden Orientierungszeichen wieder, durchquerten Säle und Stollen. Mitunter, wenn es zu eng wurde, gingen sie hintereinander. Stets übernahm Simak die Führung. Gould blickte auf seinen Rücken. Er begriff die sachliche Zweckmäßigkeit des Panzers. Der Meter zwischen ihnen war ein Meter. Ein Meter nur.
»Gib Seil!«
»Gut so?«
»Gut so. Stop!«
Hinaustretend in die sternklare Nacht, verspürte Gould ein Gefühl der Befreiung. Er vermeinte, ein Lufthauch schlüge ihnen entgegen, ein Duft von Weite, ein Geruch nach Wald und brandendem Gewässer. Konnte ein Mensch sich nach etwas sehnen, was er nie erfahren hatte?
Er wollte nicht das grenzenlose Weltall wahrhaben, aber es reichte nun einmal bis auf den Grund der Schluchten. Unwiderruflich schritten sie hinein. Nichtüberwindbar legte sich der Abgrund zwischen sie und das Gewesene.
Das Geräusch des Motors weckte schlafende Empfindungen. Die Funkstimme des Stationswachhabenden pochte gleichsam an die Mauer ihrer Abgeschiedenheit. Sie sahen sich an, und ihre Gegenwärtigkeit half

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