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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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er vertrat, wurzelnd im Begreifen der Not, die es zu lindern galt, dieses Bewußtsein in ihm gefestigt? Das Bewußtsein, als Mensch gebraucht zu werden!
Das diffamierende Erlauschte verletzte sein Ethos, gab ihn der Lächerlichkeit preis, denn gerade die Entfernung von der Erde, die Zeit, hatten ihn seiner Herkunft tief verbunden. Der Zweifel, einmal gesät, ließ ihm keine Wahl. Schmerzlich empfand er die Kluft, die er zwischen ihm und der nichtirdischen Welt aufriß. Es war eine Kluft in ihm selbst.
Da hatte er anläßlich seiner Heimkehr auf große und erhabene Gefühle gehofft, die in ihrer Kraft der Bedeutung dessen, was er geleistet hatte, entsprechen sollten. Doch was ihm blieb, war ein Nichts. Er empfand sich als in seinem eigenen Seelental gefangen, und in welche Wand er auch stieg, er blickte auf ein Niemandsland. Heroische Opfer lagen hinter ihm. Doch wo verschönten deren Blüten das kahle Territorium, wo erfüllten sie die Trostlosigkeit mit Leben?
Wenigstens Freude, eine winzige, freudige Regung, hätte er nach zehn Jahren der Abwesenheit von sich erwartet. Nicht anders als mit dieser Bescheidenheit wollte er die Erde betreten. Noch zögerte er in ungewisser Hoffnung. Aber der Strom der Passagiere spülte ihn erbarmungslos weiter.
Das Schiff spie ihn aus und überließ ihn seinem Schicksal, einem erschütterten Glauben an die Welt und an die Unfehlbarkeit menschlichen Geistes.
Stets war er in unbeirrbarer Geradlinigkeit seinen Weg gegangen. Wenn der erste Schritt richtig war, kann der zweite nicht falsch sein, hatte seine Maxime gelautet. Der eine Arm gab, der andere Arm nahm. Von der Energie dieses Prozesses lebte er, bedürfnislos in jeder Hinsicht. Jede Vorstellung, die diese Kargheit übersteigen wollte, erfüllte ihn mit Schrecken. Es war folgerichtig, daß er sein Leben allein gelebt hatte. Von den wenigen Bekannten hatte er seit seinem Aufbruch nichts vernommen. Bindungen hatte er sowenig zurückgelassen wie Eigentum.
Er blickte gläserne Fassaden hinauf. Hinter Brüstungen, auf Balkons und Dachgärten standen winkende, lachende Menschen. Ihn erwartete niemand.
Hoffnungsvoll widmeten sich seine Gedanken dem Empfang im Ministerium, durch dessen Gänge er den Ruf sich weben hörte: Grünspan ist wieder da! Im voraus genoß er die Lust der Popularität, denn vor Monaten hatte ein Bericht seiner segensreichen Tätigkeit in den Tiefen des Kosmos, versehen mit einem Bild von ihm, die Spalten der MK-Journale gefüllt. TiVi hatte weltweit ein Porträt gesendet.
»Wir brauchen Vorbilder«, hatte anläßlich dessen der irdische Botschaftsrat auf Silgourruk geäußert. »Es wächst eine Jugend heran, deren Wollen neu profiliert werden muß, formbare, junge Menschen, denen wir nacheifernswerte Ziele vorstellen müssen. Das ist unsere Verantwortung, denn wir leben an der Schwelle zum intergalaktischen Zeitalter. Im vorhinein müssen wir es mit Leben erfüllen, mit einer neuen, höheren Ethik. Sie, mein Lieber, Sie…« Er hatte bedeutungsvoll gezwinkert.
Von neuerlichen Zweifeln bedrängt, seufzte Grünspan. Die vergangene Zufriedenheit schöpferischer Jahre stimmte ihn wehmütig. Er fühlte, daß er einen neuen, starken Halt brauchte.
Vor ihm dehnten sich die Konturen der Gebäude ins Licht des irdischen Azur. Die Eile der Leute dünkte ihm jetzt bedeutsam. Ja, er selbst kam sich kleiner vor, angesichts des Heutigen. Früher, wann war das? Die Dimension der Zeit erschien ihm plötzlich als ein schrecklicher Abgrund. Aber er lag nicht hinter, sondern vor ihm. Die Erde wiedersehen, nach so langer Zeit wieder unter Menschen weilen, menschliche Äußerungen wahrnehmen! Wen würde das nicht verwirren? Er fühlte sein Herz schlagen. Die Augen wurden ihm feucht. Tief und entschlossen atmete er und eilte der Zollabfertigung zu, die für Reisende seiner Kategorie bestimmt war.
Muterfüllten Auges empfing er den Blick des Beamten. Seit je erzeugte der Anblick von Uniformen Vertrauen in ihm. Das Ornat der Macht, die Legitimation, zu entscheiden über die Richtigkeit eines Weges, dessen sich das stets zweifelnde Individuum nicht sicher war, induzierte Heiterkeit und Glücksempfinden: Er war zu Hause!
Mißtrauisch musterte ihn der Zöllner. »Erdenbürger?« Mit unerbittlich prüfendem Augenaufschlag nahm er die Identitätskarte entgegen.
»Wenn Sie gestatten«, flüsterte Grünspan und setzte zu einer schnellen Verbeugung an.
Die Augen des Menschen hinter der Barriere packten ihn gleichsam, und tausend hohnlodernde,

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