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Störgröße M

Störgröße M

Titel: Störgröße M Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Ulbrich
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sanken auf ihn herab. Um einen Schritt zog er sich in den Schatten zurück. Doch zielsicher schwebte das Flugzeug auf das Landeplateau zu und senkte sich Meter um Meter. Noch während der Pfeifton verebbte, lief sie unter dem Graben aus Licht hindurch, der sie trennte. Als sehe sie ihn wahrhaftig und mit eigenen Augen, überwand sie die Grenze zwischen Hell und Dunkel an der richtigen Stelle. Einen Schritt, der ihn aus der Verborgenheit nicht herausführte, trat er ihr entgegen, fing sie auf und bettete sie in seine Arme.
Ein Wirbelsturm kaum hörbarer Worte trug sie beide hoch. Er fuhr mit ihnen ein in den Tunnelschacht und legte sich erst nach Stunden, zum Raunen ermattet, zu ihnen. Nur langsam wich die Hitze von ihren Gesichtern und überzog als ein mattdunkles Rot die Wände des Zimmers. Reflexe glühten auf ihren Körpern.
Endlich, als sie zu Atem kamen, fragte er: »Wie gefällt dir die Erde?« Das Rot entlarvte die Frage als Lüge. Es signalisierte den Rhythmus anderer Worte, die sie verstand.
»Was sollte ich mit ihr ohne dich?«
Obwohl sie genau seine unausgesprochene Frage beantwortete, kam er sich betrogen vor, getäuscht. Aber er sagte heiter: »Das war eine ernstgemeinte Frage.«
»Ich habe sie genauso beantwortet.«
»Du bist mir niemals ausgewichen«, sagte er.
Zwischen ihren zärtlichen Händen konnte er den Kopf wenig bewegen. »Ich erkenne dich wieder«, sagte sie.
»Ich dich«, sagte er und dachte: Was für eine Liebeserklärung!
»Wir haben uns verändert«, sagte sie.
»Es ist nicht die Zeit«, antwortete er, »nicht ihre Länge. Ebensowenig bewirkt es allein die Vielzahl der Ereignisse.«
»Du meinst deinen Tod«, sagte sie.
Er hielt den Kopf still. »Ich habe ihn nicht einmal erlebt.«
»Du hast recht«, sagte sie. »Es ist nicht schlechthin ein Leben oder ein Tod, die uns verändern.«
»Das, was ich meine«, sagte er, »könnte man die Menge an Selbstüberwindung nennen.«
In ihrem Schweigen äußerte sich Erstaunen.
»Bist du Commander geworden?« fragte er.
»Ja«, sagte sie. »Ich empfange Befehle. Ich gebe sie weiter. Ich habe ein Leben ohne Selbstüberwindung gelebt.«
»Das soll kein Vorwurf sein«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte sie traurig.
Dieser Ausdruck beschämte ihn, und er äußerte, daß er selbst die Überwindung nie gesucht habe. »Es war alles ein großer Zufall«, sagte er.
»Aber du hast ihn wahrgenommen!«
Ihr leiser Ausruf erschütterte ihn. »Hättest du es nicht getan?«
Sie legte sich auf den Rücken und sagte: »Ich weiß nicht. Wir haben beide nicht gesucht, was wir gefunden haben. Ich habe mich daran gewöhnt, auf diese Weise nützlich zu sein.«
»Haben dich das die vergangenen fünf Jahre gelehrt?«
Er bildete sich ein, sie müßte lächeln. Jedenfalls klangen ihre Worte so. »Was stellst du dir unter diesen fünf Jahren vor?«
»Disziplin«, sagte er und fuhr fort. »Ich bin ein Beispiel an Disziplinlosigkeit.«
»Du hast die Macht eines Augenblicks benutzt«, sagte sie. »Du konntest mir kein Beispiel sein.« Sie umschlang ihn. »Ich habe Angst, daß es dir nie wieder gelingen wird.«
Er befreite sich, um ihr Gesicht zu sehen. »Woher willst du wissen, daß ich es noch einmal versuchen werde?«
Ihre Worte wiederholten die zärtliche Sachlichkeit ihrer Miene. »Ich habe Leute wie dich in meiner Flottille. Es ist wie eine Sucht bei ihnen. Ich muß sie zur Disziplin zwingen, obwohl ich weiß, ihre Variante hätte genauso Berechtigung.«
»Warum?« fragte er. »Warum mußt du sie zwingen?«
»Warum, warum«, erwiderte sie. »Demokratie ist ausnutzbar, nicht nur von Fähigen. Kannst du dir ein demokratisch geführtes Raumschiff vorstellen, eine Flottille, eine…«
Sein Nein unterbrach sie für eine beängstigende Zeit. Schließlich sagte sie: »Wir leben in einem Kristall. Ein jeder hat seinen Platz. Das macht seine Güte aus, seine Klarheit, seinen Glanz.«
»Laß mich das Bild vollenden«, bat er. »In Zeiten des Umbruchs schmilzt der Kristall. Die Atome werden frei beweglich. Sie Finden sich zu einem neuen Gitter zusammen. Ein neues Werkzeug entsteht.«
»Ein gutes Beispiel«, bemerkte sie. »Wenn du jetzt deinen Platz verlassen willst, sprengst du das Gefüge. Es bleiben nur Splitter.«
»Habe ich das getan?«
»Ich fürchte es für die Zukunft.«
»Es war früher nicht deine Art, mir auszuweichen.«
»Ich liebe die Erde«, flüsterte sie. »Aber ich habe begriffen, daß es etwas darüber hinaus gibt. Laß es gut sein, daß wir die Erde

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