Stolen Mortality
glauben nicht, wie sehr. Möchten Sie sich nicht lieber ein wenig ausruhen?“
Er sagte nichts, nur seine Augen stellten eine sehr eindeutige Frage: in deinem Bett? Laine lächelte beredt.
„Ich sollte jetzt nach Hause gehen. Die finsteren Gestalten auf den nächtlichen Straßen bereiten mir allerdings ein wenig Sorge. Magst du mich begleiten?“
Er leckte sich über die Lippen und sagte mit rauer Stimme zu. Natürlich sagte er zu. Manche fragten nach dem Preis, wenn sie derart offensiv vorging. Die Replik blieb sie immer schuldig. Sie würden auch mit ihr gehen, wenn sie ehrlich wäre.
Laines Plan war, ihn bis zur Küste des Meeresarms Moray Firth zu bringen, die sie einige Stunden zuvor erkundet hatte. Es gab dort eine Steilklippe, die mehrere Meter hinunter in flaches, von Felsen zerklüftetes Wasser führte. Der Ort bot eine perfekte Gelegenheit, die Leiche zu entsorgen. Da stürzte sicher ab und an mal jemand rein, es würde kaum auffallen. Nach mindestens einer Nacht, die der Körper den Kräften des Meeres ausgesetzt war, würde niemand bemerken, dass jede Menge Blut fehlte. Wenn die Leiche überhaupt wieder auftauchte. Vielleicht zog die Strömung sie auch in die Nordsee hinaus.
Laine zog die Luft ein und schmeckte trotz der Entfernung die salzige Frische der See.
Meine dunkle, tiefe Freundin. So oft schon warst du mir Komplizin. So vertraut dein ständig wechselnd’ Angesicht – nie ein Tropfen da, wo noch zuvor. Schwarze Tiefen, die mich trösten – stürmische Kälte, die mich sanft in ihre Arme nimmt. Und verschlingt, was mich verraten würde. Jedes Geheimnis geborgen in verlässlich ’ Unbeständigkeit.
Laine schloss für ein paar Schritte die Augen, lauschte dem entfernten Rauschen und seufzte lautlos. Doch der Fußweg über einsame Wiesen war in menschlichem Tempo langwieriger , als sie angenommen hatte, und alle Flucht in poetische Träumereien half nicht. Die lästigen Annäherungen ihres Opfers lenkten sie nicht ab, gingen ihr nur bald schon so sehr auf die Nerven, dass sie alle paar Meter seine Sinne flackern lassen musste wie eine Glühbirne in den letzten Zügen.
Immer wieder kam die Wut auf den Wächter Glen Merthas in ihr hoch; Zorn und Angst vor dem Versagen ließen den Durst in ihrer Kehle kratzen. Zu schrecklich war die Vorstellung, ihr Auftrag könnte misslingen. Es würde dramatische Folgen haben; wobei Laine sicher war, dass sie diese Folgen nicht mehr miterleben würde.
Der Mann an ihrer Seite griff ein weiteres Mal nach ihrer Hand, sie ließ es geschehen und beachtete ihn für die Dauer ihrer Gedanken nicht weiter.
Verflucht sei ihre Eitelkeit, mit der sie Jonathan zugesichert hatte, das Problem innerhalb weniger Tage zu lösen. Ohne die Hilfe ihrer Rivalin Tameth, die er ihr zur Seite stellen wollte. Sie sah in ihrem Auftrag die Chance, Jonathan endlich zu überzeugen, dass sie etwas Besseres war; dass er sie nicht umsonst all die Jahre seinen anderen Vampiren gegenüber bevorzugt hatte. Bis zu jenem unseligen Tag, als er die dunkelhäutige Schönheit Tameth gefunden, verwandelt, und zu seinem neuen Liebling erklärt hatte. Laine war ersetzt worden und hatte still getobt. Nie zuvor hatte sie sich als zweite Wahl fühlen müssen, derartige Leiden waren ihr völlig fremd.
Sie stellte fest, dass es ihr inzwischen gleichgültig war. Die Eifersucht war geschwunden, vielleicht , weil sie begriffen hatte, dass Jonathan nicht der Nabel der Welt war, für den sie ihn zu lange gehalten hatte. Er war kein Gott, der über ihr Leben bestimmte. Lediglich ihren Stolz durchzogen kleine Risse, doch mehr als diesen Stolz hatte Jonathan nicht versehrt. Mehr besaß sie auch nicht. Für einen Moment wagte sie die Überlegung, aus welchem Antrieb sie überhaupt zu Jonathan zurückkehren wollte.
Der einzige Grund lautete, dass er sie anderenfalls suchen würde. Und finden. Holen.
Das betonharte Fundament ihrer Beziehung bestand aus einer Vereinbarung, die Jonathan für sie beide getroffen hatte: Schenk mir deinen Gehorsam und du behältst dein Leben.
Eine Welle von Verzweiflung fuhr ihr durch den Körper. Abrupt blieb sie stehen und presste die Lippen aufeinander, um nicht laut zu schreien, dass sie all das nicht länger wollte. Der Mensch an ihrer Hand verstand dies falsch, er trat langsam einen Schritt näher, ergriff ihre andere Hand und zog sie an sich. Seine geschürzten Lippen widerten sie an. Keine fünf Minuten konnte sie mehr zwischen diesem lüsternen Sterblichen und Jonathans
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