Stolen Mortality
aber es war erträglich. Wesentlich besser als an den meisten Abenden. Er könnte es genauso gut am nächsten Morgen erledigen. Das Risiko, sich an jemandem auf der Party zu bedienen, schien ihm zu groß. Er hatte keine Ahnung, ob und wie sich Alkohol oder Drogen im Körper des Opfers auf ihn auswirken würden. Außerdem gehörten diese Studenten nicht zu den Menschen, denen er auch nur den kleinsten Schaden zufügen wollte.
„Tut mir leid“, sagte Amy plötzlich leise und riss ihn aus seinen Gedanken. Sie betrachtete ihre Schuhspitzen, während sie die Straße entlangschlenderten . „Ich hatte geahnt, dass sie Joints rauchen würden, aber ich wusste ja vorher nicht, dass du so stark darauf reagierst.“
Junias schüttelte den Kopf. Sie sollte sich keine Vorwürfe machen. Sie doch nicht! „Mir tut ’s leid. Ich wusste es selbst nicht. Gut, dass du es mitbekommen und mich gewarnt hast. Danke. Wie hast du das überhaupt so schnell bemerkt?“
Amy kicherte. „Dein Gesichtsausdruck war ziemlich eindeutig.“
„Oje. So schlimm?“
„Hm-m. Hast du schon mal einer Katze beim Pinkeln zugesehen? Aller Welt entrückt, völlig gefangen in ihrem eigenen Universum?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Willkommen in der Pinkelkatzen-Twilight-Zone.“
Bei der Erinnerung an Jamians Katze war ihm nicht zum Lachen zumute, er zwang sich dennoch zum Grinsen. Ihr Tod hätte ihn warnen müssen, ihm klar machen müssen , wie gefährlich er war. Aber er hatte nichts daraus gelernt.
„Hey, was ist?“, fragte Amy sofort. „Hab ich etwas Falsches gesagt?“
„Es war eine dumme Idee, herzukommen.“ Er registrierte, dass seine Blicke ohne sein Zutun die Fenster der umliegenden Häuser absuchten.
„Es gefällt dir nicht.“
„Nein, das ist es nicht. Es gefällt mir sehr. Es ist nur so, dass das eben in die Hose hätte gehen können. Du hast keine Ahnung , wie gefährlich wir sind. Wie gefährlich ich bin.“
Amy stieß ihm neckisch in die Rippen. „Du siehst nicht sehr gefährlich aus, wenn ich das mal sagen darf.“
„Du hast gesehen, was ich mit Brian gemacht habe. Du hast gesehen, welche Kraft ich habe, auch wenn ich leider nicht so aussehe. Was denkst du, passiert, wenn diese Kraft außer Kontrolle gerät?“
„Ich habe oft genug gesehen, wie du dich von Brian und den anderen herumschubsen lässt“, erwiderte Amy, blieb stehen und griff nach seiner Hand. Überraschend fest umschlossen ihre warmen Finger seine. „Du hast dich unter Kontrolle, viel besser als manch anderer.“ Sie schien kurz über etwas nachzudenken. „Funktioniert es wie in den alten Geschichten? Über die Handflächen?“
Junias nickte und Amy zog seine Hand entschlossen an ihr Gesicht und drückte sie gegen ihre Wange. „Du hast dich unter Kontrolle. Siehst du?“
„Ja.“ Ja, jetzt. Aber wenn sie wüsste, dass dies nicht immer so gewesen war …
Er betrachtete seine Hand auf Amys Wange, ihren erwartungsvollen Blick aus großen Augen, und fragte sich, ob er sie nun küssen sollte. Er wollte gern, doch wenn dies zu früh wäre, hätte er es vermasselt, und vermasseln durfte er es nicht.
Schließlich nahm sie seine Hand wieder in ihre und bedeutete ihm, weiterzugehen. Für eine Weile trotteten sie schweigend durch die umliegenden Straßen, bis sie einen in der Dunkelheit verwaisten Kinderspielplatz fanden. Ungerührt vom Nieselregen ließen sie sich auf den Schaukeln nieder und plauderten über die Schule, lästerten über die Lehrer, sprachen über ihre Lieblingsmusik und anderes, möglichst belangloses Zeug. Irgendwann hatte Junias alle bedrückenden Gedanken nahezu vergessen. Es war in Gesellschaft dieses optimistischen, witzigen Mädchens und ihren frechen Sprüchen kaum möglich, negativen Gedanken nachzuhängen.
Es vergingen gute zwei Stunden – unbeschwerte Stunden -, ehe der weiter auffrischende Wind so kalt wurde, dass Amy zu frösteln begann und Junias zur Rückkehr drängte.
Ein bisschen unsicher betraten sie Adams Wohnung. Junias schnupperte vorsichtig. Amy stürmte vor und riss trotz Protesten der weniger gewordenen Gäste die Fenster weit auf.
„Wo sind Adam und Kate?“, fragte sie in die Runde.
„Wo wohl?“, erwiderte ein dunkelhäutiger Junge in einem Jamaica-T-Shirt. Junias konnte sich denken, wo Adam war. Das Schnarchen aus dem Schlafzimmer war kaum zu überhören.
„Adam pennt, hast du etwas anderes erwartet?“ Der schwarze Junge imitierte einen Ohnmachtsanfall. Gedämpftes Kichern ging durch die Reihen
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