Stollengefuester
wenn deine Miniatur-Zeitung dich …, also Nino, so kenne ich dich ja gar nicht. Aber weißt du was? Das Flugzeug fliegt sowieso. Besser die Maschine auslasten, als mit leeren Sitzen fliegen lassen.«
»Das ist das hirnrissigste Argument, das ich je gehört habe. Mit mir nicht!«
Nino schmiss sich auf seinen Sessel, verschränkte die Arme und kniff seine Augen zu.
Nore Brand atmete langsam aus.
»Okay, das mit dem Auslasten ist ein schlechtes Argument. Aber wir müssen unsere Arbeit machen. Daran können wir nichts ändern. Und heute führt sie uns zur Abwechslung mal in eine Weltstadt. Ich habe gedacht, dass …«
»… für mich ist Bern groß genug. Ich pfeife auf Weltstädte.«
»Nino, ich war so sicher, dass du dich freuen würdest!«
Er schlug sich mit den Fäusten auf die Schenkel. Dann schaute er sie an. Aus seinen Augen leuchtete die pure Verzweiflung.
»Ich mich freuen? Nore, verstehst du denn gar nichts? Du hast ja ein Megabrett vor deinen Augen! Ich habe einen Höllenschiss vor dem Fliegen!« Seine Stimme brach. »Ich kann das nicht. Ich kann das einfach nicht. Ich sterbe vor Angst in so einer Maschine. In jeder Minute sterbe ich mindestens zweitausendmal. Ich weiß das.«
Du lieber Himmel, das war es also.
Sie beugte sich vor.
»Zweitausendmal pro Minute? Sterben?« Sie unterdrückte ein Lachen. »Entschuldige, aber auch ein Wunderkind stirbt nur ein einziges Mal. Auch wenn du das für ausgeschlossen hältst.«
Er starrte mit rotem Gesicht auf den Bildschirm.
»Die meisten Menschen haben Angst vor dem Fliegen«, versuchte sie, ihn zu trösten. »Wir sind Bodenwesen.«
Er warf ihr einen gepeinigten Blick zu.
»Aber man kann ein bisschen daran arbeiten. Ich weiß, wie das ist mit den Ängsten.«
»Du?«
»Ja. Ich hasse Mäuse.« Sie lachte. »Ich war klatschnass vor Angst in der Kaverne.«
Er begann zu grinsen.
»Vor Mäusen? Angst vor Mäusen?«
»Nicht Angst. Panik!«
»Aber die sind ja so klein! Und da hilft dir dein asiatischer Kampfsport nicht?«
»Für so kleine Feinde braucht es andere Waffen.«
»Und? Hast du die passende Waffe gefunden?«
»Nein, leider nicht. Aber ich kann mich doch nicht einfach aufs Sterbebett legen, nur weil die Welt voller Mäuse ist!«
Sie verpasste ihm einen Nasenstüber und richtete sich wieder auf.
»Autsch!«, schrie er und rieb sich die Nase. »Ich fliege trotzdem nicht.«
»Wenn du felsenfest davon überzeugt bist, dass dieses Flugzeug abstürzen wird, nur weil ausgerechnet du drin bist, dann buchst du uns eben einen Platz im Zug, im CityNightLine.«
Nino Zoppa atmete aus und sein Gesicht begann zu leuchten. »Wir können heute mit dem Nachtzug hinfahren und ich suche jeden einzelnen Waggon nach Mäusen ab, wenn’s sein muss, die ganze Nacht«, erklärte er, »und frühstücken mit dem Professor ist sicher auch nett, außerdem sind betagte Professoren am Morgen frischer für Auskünfte jeglicher Art, dann machen wir nach dem Frühstück eine Stadtrundfahrt und abends fahren wir wieder im Liegewagen zurück. Was meinst du? Das klingt doch genial!«
Er schaute sie fragend an.
»Ja, aber beeil dich. Ich brauche einen Schlafwagen. Ich will meine Ruhe haben. Und du versprichst mir hoch und heilig, dass keine Maus nach Amsterdam mitfährt.«
»Keine einzige!«
Er zog die Tastatur zu sich und hämmerte los.
»Das haben wir gleich! Noch was«, er hielt inne, »Nore, die Natur wird uns dankbar sein.«
Nore Brand schüttelte lächelnd den Kopf. »Vielleicht. Wer weiß das schon.«
»Ich weiß es«, sagte Nino mit fester Stimme. Seine Augen klebten am Bildschirm. »Ich melde mich, sobald ich alles erledigt habe.«
Eine Viertelstunde später saß Nore Brand im Büro von Bastian Bärfuss.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie leichthin, auch wenn ihr alles andere als leicht zumute war.
Es war ein Trick. Oft gelang es ihr, sich selbst zu beruhigen, wenn sie diese unbegreifliche Zuversicht aus ihrer Stimme hörte.
Das Spiel half. Es konnte Kräfte wecken.
»Du solltest dem Chef vielleicht doch etwas …«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Nein. Auf gar keinen Fall. Offiziell habe ich Ferien, und Nino baut ab sofort Überzeit ab.«
»Pass auf, Nore. Du weißt, der Chef beobachtet dich. Du riskierst sehr viel.«
»Er beobachtet mich, weil er vermutet, dass ich in einer Sache mehr weiß als er. Er vermutet richtig und er ahnt, dass er möglicherweise auf einen Riesenschwindel hereingefallen ist. Das muss ihm sehr peinlich sein. Ich
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