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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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mit seinem letzten großen Werk, begann ein nasser Schnee zu fallen. Mehr Regen als Schnee. Bucher lag auf seinen Knien und spürte die Tränen der Anstrengung, die über seine Wangen rollten, nicht. Er spürte nichts, keine Kälte, keinen Schmerz, auch den Schmerz der erlittenen Demütigungen nicht.
    Er erhob sich vorsichtig.
    Nun durfte er nichts mehr übereilen. Nicht in seinem letzten Fall.
    Als er sich auf den Rückweg machte, lagen zwei Abdrücke aus Gips schwer in seinem Rucksack. Diese wunderbare Last!
    Der größere der beiden Abdrücke war vom Schuh des Direktors, der kleinere war der Schuh des Mörders. Obwohl – ganz sicher war er seiner Sache nicht gewesen. Mittlerweile hatte er Gewissheit.
    Welche Erinnerung!
    Er lehnte sich im Sessel zurück und dachte nach.
    Er musste nur noch den passenden Schuh zum kleineren Gipsabdruck finden.
     
    »Kennst du die Geschichte von Aschenputtel?«, hatte er seine Frau beim Abendessen gefragt.
    Sie stellte die Pfanne auf den Tisch und schaute ihn ungläubig an. »Aschenputtel? Wie kommst du plötzlich auf Aschenputtel?« Sie lachte und setzte sich hin.
    So hatte sie schon lange nicht mehr gelacht. Er mochte es, wenn sie so war. Sie würde wieder öfter so sein und lachen, schwor er sich.
    »Das weißt du doch. Das ist das Märchen, in dem der Prinz den richtigen Fuß sucht. Die Prinzessin tanzte mit ihm auf dem Ball, er verliebte sich in sie, doch sie flüchtete und verlor dabei einen Schuh. Das war sein Glück, er wusste, dass er nur den Fuß finden musste, der in diesen wunderbaren Tanzschuh passte.«
    Sie streckte die Hand nach seinem Teller aus.
    »Im Regal steht das Märchenbuch. Dort kannst du alles genau nachlesen. Warum musst du das wissen?«
    Er nahm den gefüllten Teller entgegen.
    »Das erkläre ich dir dann, wenn es so weit ist.«
     
    Diese Frau Brand war es gewesen, sie hatte ihm einen Auftrag zugeschoben, der ihm Spaß machte. Dieses letzte Mal würde er vorsichtig sein. Vor allem nichts übereilen. Von jetzt an würde er seinen Kopf tief halten, im wahrsten Sinne des Wortes. Noch einmal Spuren lesen. Ein allerletztes Mal. Es war nur noch eine Frage der Zeit.
    Der Mörder kannte die Gegend. Es konnte kein Fremder gewesen sein.
    Er schaute aus dem Fenster. Im Schein der Straßenlaterne sah er Schneeflocken tanzen. Sie tanzten für ihn. Bucher faltete die Hände über seinem Bauch. Jetzt durfte es schneien und zwar den ganzen Winter über.
    Und jeder im Dorf würde von nun an Spuren hinterlassen. Jeder.
    Er zog den Schreibblock zu sich, packte einen gut gespitzten Bleistift und schrieb sich ein paar Namen auf.
    Es war kein Fremder gewesen, der an jenem Novembernachmittag mit dem Hoteldirektor unterwegs gewesen war. Das war sonnenklar.
    Als er die Liste fertig hatte, faltete er das Blatt zusammen und steckte es in sein Jackett.
    Es war der Plan seiner letzten Jagd.
     
    Er hatte sich auf dem Camping Seegarten bereits umgesehen. Der rote Bus war weg.
    Etwas musste geschehen sein.
    Aber sie würden wiederkommen, die beiden.
    Und dann würde Bucher bereit sein.
     
    Er legte die beiden Gipsabdrücke zurück in die Kartonschachtel, verschloss die Schublade sorgfältig und schob den Schlüssel in seine Hosentasche.
    Er dachte an die Begegnung in der Landi. Nicht für Gartenzwerge habe ich den Gips gebraucht, du dummer Kerl. Auch wenn ich in ein paar Tagen pensioniert werde, ich kenne mein Handwerk immer noch bestens.
    Bevor er aufstand, spitzte er die Bleistifte und legte sie ordentlich ausgerichtet hin.
    Der Computer stand in einer Ecke. Unter einem alten Vorhang. Der Apparat war kalt und zwar seit dem Tag, als man ihm mitgeteilt hatte, dass sein Posten auf Ende Jahr aufgehoben würde. Aus Spargründen. Er hatte davon gehört. Kollegen vom Tal hatten ihn darauf angesprochen. Eines schönen Tages hatte er es schwarz auf weiß. Wenn er nicht gewusst hätte, worum es ging, hätte er den Brief womöglich nicht einmal verstanden.
    Dieser Kerl aus der Berner Teppichetage hatte den Brief so schön formuliert, dass Bucher beim Lesen fast den Eindruck bekam, es handle sich um die längst fällige Beförderung. Hinter den merkwürdig geschwollenen Worten und Sätzen versteckte sich aber die Botschaft, dass man ihn wegspediert hatte. Täuschte er sich oder roch der Brief nicht doch genau wie der Jüngling mit der Igelfrisur, der ihm den Computer hingestellt hatte?
    »Bucher ist flexibler als ihr alle, ihr Hohlköpfe«, murmelte er, als er den Vorhang über das neue

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