Stollengefuester

freundlichen Flachländer wissen leider immer noch nicht, was richtiger Kaffee ist. Doch die Liebenswürdigkeit, mit der sie ihn servieren, lässt alle Unzulänglichkeiten dieser köstlichsten aller Brühen, wenn sie nach den Regeln der Kunst zubereitet wird, vergessen! Sie werden das gleich sehen.«
    Es geschah, wie er prophezeit hatte.
    Nicht mehr als eine Minute später erhielt Nore Brand ihren Kaffee im Kartonbecher serviert, und dies mit dem denkbar charmantesten Lächeln.
    Der Professor ließ seine Äuglein mit größtem Gefallen auf den verschiedenen Körperregionen der jungen Dame ruhen.
    Nore Brand folgte seinem Blick.
    Ja, sie hatte tatsächlich eine Menge davon. Und alles gut verteilt.
    Als sie den Raum verlassen hatte, wandte er sich begeistert an Nore Brand. »Sie sind so unglaublich intelligent, diese jungen Frauen hier, das sieht man doch auf Anhieb, nicht wahr?«
    Nore Brand fragte sich, in welchen Körperregionen der Professor die Intelligenz dieser Amsterdamer Schönheit wohl vermutete. Mit Ausnahme ihres Gehirns kam vermutlich fast alles in Frage.
    »Herr Professor Plodowski, darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
    »Nur zu, nur zu«, forderte er sie auf. Er war munter wie einer, der die Schlacht bereits entschieden glaubte. Zweifellos hielt er sich für den Sieger.
    Nun war es an ihr, ins Geschehen einzugreifen.
    »Sie haben mit Frau Ehrsam zusammen einen erstaunlichen Plan ausgeheckt. Sie wissen, dass ich von dieser Bergfestung im Berner Oberland spreche.«
    »Im Simmental, in der Lenk oder an der Lenk«, ergänzte der Professor lächelnd. »Sie sehen, ich habe einige lokale Kenntnisse. Es ist der einzige Ort, wo man sich in diesem schon fast erschreckend rührigen Land noch erholen kann. Ein wunderbares Tal. Nur dort wird man unsere Kostbarkeiten in Ruhe lassen.«
    Er lehnte sich in seinem Sessel zurück.
    »Ein wundervoller Plan, nicht wahr?«
    »Sie sind auch der Verbindungsmann zum Geheimdienst?«
    Der Professor beugte sich mit weit aufgerissenen Augen über den Tisch. »Was sagen Sie da?«
    Diese Frage hatte ihn erschreckt.
    »Geheimdienst, sagen Sie? Zu welchem Geheimdienst soll ich der Verbindungsmann sein?«
    Seine Augen funkelten plötzlich sehr böse. Der joviale und kultivierte Weltbürger war auf einen Schlag verschwunden.
    »Diese Bergfestung dient dazu, den Schatz der Zarenfamilie oder wenigstens einen großen Teil davon für alle Ewigkeit zu sichern«, fuhr Nore Brand unbeirrt fort. »Das weiß ich aus einer sicheren Quelle.«
    Eidgenössische Beamte waren in der Regel gründlich, peinlich gründlich, wenn sie über Tatsachen berichten mussten. Die Überforderung stellte sich bei einigen erst ein, wenn sie Tatsachen zu deuten hatten. Das traf auch auf ihren Chef zu, fand Nore Brand.
    Der Professor erhob sich mit einem Ruck und polterte los. Auf Russisch. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Fluchserie der gröberen Art.
    Die kyrillischen Zeichen in der Sprechblase über seinem Kopf schwollen an wie Blumenkohlwolken.
    Nore Brand schaute den Mann aufmerksam an. Seine Worte klangen eindrucksvoll.
    Nino hatte von Herrn Explodowski gesprochen. Das passte.
    Die Wut war nicht gespielt.
    Nur: War er explodiert, weil sie auf der richtigen Spur war oder weil sie ihm zutiefst unrecht tat?
    Er setzte sich wieder hin und versuchte, sich zu beherrschen. »Frau Kommissarin, ich habe mein Leben lang mit Klara Ehrsam zusammengearbeitet. Sie gab mir Geld und ich arbeitete wie ein Pferd. Zuerst suchte ich das Bernsteinzimmer. Vergeblich. Aber ich habe weiter geschuftet und ich habe Kostbarkeiten gefunden, von denen keiner etwas weiß. Oh, was diese verdammten Revolutionen und Kriege angerichtet haben! Und es wird so weitergehen, das ist das Unfassbare daran. Der größte Teil der Menschheit ist gefangen in einem Teufelskreis von Besitz- und Machtgier. Und immer vergessen diese Barbaren, dass sie auch sich selbst schaden damit. Sie glauben, sich zu den Herren der Geschichte zu krönen, dabei merken sie nicht, wie sie sich mit dieser Zerstörung der eigenen Geschichte berauben. Aber nicht nur der Mensch, die ganze Natur wird zur Gefahr für die Kunstwerke der Menschheit. Der Meeresspiegel steigt und wir müssen irgendwohin mit diesen Kostbarkeiten!«
    Dann verstummte er. Er wirkte auf einmal erschöpft.
    Dieser Mann hatte Klara Ehrsam verführt mit seinen Gedanken, mit seinem Temperament und mit seiner Überzeugungskraft. Wie musste er erst gewirkt haben als junger Mann! Rhetorische Kraft