Stollengefuester
Shirt, eng wie eine Wursthaut.
Nino Zoppa erstarrte. Seine Augen gingen unter in einer Flut von Hormonen.
Sie nannte sich zweifellos Bunny.
Nore Brand wandte ihren Blick ab.
»He«, strahlte Nino plötzlich, »das sieht jetzt doch langsam ein bisschen nach Millionenstadt aus!«
Er schob die Kapuze zurück. »Was sind unsere Pläne?«
»Wir besuchen Plodowski. Ich hoffe, dass er Zeit hat für uns.«
»Er wird so überrascht sein, dass er nicht anders kann.«
»Das werden wir sehen.«
Sie holte ihr Notizbuch hervor.
»Bist du wegen Elvira Merian so misstrauisch?«
Sie blätterte hin und her.
»Wir sind ab sofort wieder grundsätzlich misstrauisch, wem wir auch begegnen.«
Nino Zoppa pfiff durch die Zähne. »Also alles wieder ganz von vorn.«
Er schaute Bunny nach und grinste.
»So geil. So etwas habe ich bei uns noch nie gesehen, nicht so früh am Tag.«
»Ja, sehr nett«, sagte Nore Brand und kritzelte etwas in ihr Büchlein.
Nino Zoppa drehte sich irritiert zu ihr um. »Sehr nett?«
»Ja, das findest du doch auch.«
Er schüttelte den Kopf. »Du weißt wieder einmal gar nicht, wovon ich rede.«
»Doch, doch. Von Bunny.«
Nino Zoppa griff sich an den Kopf. »Wer ist Bunny?«
Nore Brand steckte das Notizbüchlein zurück.
»Bunny? Woher soll ich das wissen?«
Nino verdrehte die Augen.
»Meine Nacht war miserabel. Ich glaube aber, dass deine Nacht noch schlimmer war.«
»Vielleicht, ja, aber hör mal, da war jemand mit dem Direktor spazieren. Der Direktor überlebte den Spaziergang nicht. Derselbe fuhr dann nach Basel und vergiftete den Anwalt. Denk logisch weiter.«
»Also müsste der auch nach Amsterdam unterwegs sein, um den Professor aus dem Weg zu räumen.« Nino Zoppa drehte sich mit einem Ruck zu ihr. »Und wenn der schneller ist als wir? Und was, wenn der schon bei ihm war?«
»Das wäre Pech.«
Nore Brand schaute auf die Straße.
Inzwischen war Amsterdam erwacht. Ein Tram bremste quietschend vor einer Haltestelle.
»Vielleicht hat Plodowski selber etwas damit zu tun. Elvira Merian weiß immerhin schon länger von ihm. Aber falls sie einfach notorisch misstrauisch ist, dann …«
»… besteht die Gefahr, dass unser Herr Explodowski in Lebensgefahr schwebt.«
»Genau.«
Nore Brand legte ein paar Euro neben die Tasse und erhob sich.
»Komm. Wir verlieren hier besser nicht zu viel Zeit.«
Aber die Tasse Kaffee hatte sein müssen. Er war so heiß gewesen, dass sie sich die Zunge verbrüht hatte und hinterher nicht sagen konnte, ob er gut war oder nicht.
Eine Stunde später standen sie vor dem Museum Hermitage. Ein großzügiges, aber schlichtes und nüchternes Backsteingebäude. Ein ehemaliges Diakonissenhaus, meldete der Stadtführer, an bester Lage. Bis vor wenigen Jahren hatte es als Alters- und Pflegeheim gedient.
Das also war Amsterdams Newski-Prospekt. Nein, Amstel-Prospekt.
Sie betraten das Gebäude.
Von wegen Diakonissenhaus!
Da hatten sich zeitgenössische Architekten verwirklicht. Die Jünger von Glas-Granit-und-Chromstahl mit darüber hinweggleitenden kühlen Neon-Schriftzügen. Informationen zur Ausstellung, die nie zur Ruhe kamen.
Ihr Blick ging zum Innenhof. Makellos. Alte Kastanienbäume, die ihre Blätter und Früchte unordentlich in den leuchtend grünen Rasen geworfen hatten.
In ihrem hohen Alter durften sie das. Und sie hatten zweifellos ihren Spaß gehabt dabei. Ein herbstlicher Streich der ewigen Natur gegen die kühle Eleganz des 21. Jahrhunderts.
Ein Rahmen aus Eisen umfasste die Rasenfläche. Eine Grünfläche mit Eisenkorsett; das passte perfekt. Hier musste die Natur gebändigt werden.
»Nore, schau mal, diese Architektur. Einfach genial!«
»Sie hätten auch diese alten Bäume umsägen können. Dann wäre das Ganze doch noch ein bisschen ordentlicher.«
Nore Brand spürte, wie sich der barocke Teil ihres Innenlebens zur Wehr setzte. Und wenn es nur ihr Hang zum Chaotischen und Unordentlichen war. Das hier war Calvinismus in voller Blüte. Wobei: Calvinismus und volle Blüte gingen nur schlecht zusammen.
Der Calvinismus hatte hier seine moderne architektonische Entsprechung gefunden. Mit einer Verspätung von ein paar Hundert Jahren. Nur die unbändige herbstliche Blätterpracht der Kastanienbäume wollte nicht in dieses Bild passen.
»Also, du suchst den Professor und ich schaue mich ein bisschen um hier, oder?«
Sie nickte.
»Ich warte oben auf dich. Im Restaurant.«
Sie fühlte sich ausgehöhlt und erschöpft. Kein Wunder. Sie war
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