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Stollengefuester

Stollengefuester

Titel: Stollengefuester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marijke Schnyder
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mit zweihundertfünfzig Stundenkilometern durch Deutschland gesaust.
    Und sie hatte sich am Morgen gewundert, dass sich ihre Haare nicht ordentlich herrichten ließen!
    Sie trat in den gläsernen Lift. Auch auf der ersten Etage, im Café Restaurant Neva, keine Farbe, alles in Grau-Beige-Weiß. Ein Poster wies auf eine Ausstellung von Kunstschätzen der russisch-orthodoxen Kirche hin.
    Nore Brand fragte nach dem Büro des Professors aus St. Petersburg. Eine der Frauen an der Bar zeigte ihr den Weg.
    Sie ging durch sonnendurchflutete Gänge, über Treppen aus Chromstahl. Das Haus war übersichtlich, jeder Raum beschriftet. Sie fand ihn rasch. Sie klopfte.
    Gleich darauf hörte sie eine männliche Stimme ein joviales ›Herein!‹ rufen.
    Hatte er sie etwa erwartet?
    Auch dieses Büro war in Grau-Beige-Weiß gehalten, nur der Teppich war irritierend lebendig. Tausende von weißen Textil-Engerlingen, hübsch sortiert und ausgerichtet, vor dem hellgrauen Hintergrund.
    Er ging ihr entgegen. »Frau Brand? Kommissarin Brand?«, fragte er.
    Sie nickte und streckte ihm die Hand entgegen.
    Er lächelte erfreut. »Elvira hat mich benachrichtigt!«
    Nore Brand versuchte, ihre Überraschung zu überspielen. Warum, zum Teufel, hatte Elvira Merian ihn informiert?
    »Ja, ich habe von ihr erfahren, dass Sie in Amsterdam sind.«
    Er machte ein betroffenes Gesicht. »Der arme Heinrich. Wurde er tatsächlich vergiftet?«
    Plodowski sprach ein tadelloses Deutsch, aber das war nicht erstaunlich.
    Nino Zoppa hatte ihr zwischen Bern und Basel von seinen Recherchen berichtet.
    »Unser Herr Professor hat in Petersburg, Berlin und Oxford studiert und gearbeitet. Also kann er noch andere Sprachen als Kyrillisch.«
    »Russisch«, hatte Nore Brand ihn korrigiert.
    »Was jetzt? Du hast selber gesagt, es handle sich um kyrillische Buchstaben.«
    »Russisch schreibt man mit kyrillischen Buchstaben.«
    »Kyrillisch ist keine Sprache?«
    »Nein.«
    Er grübelte einen Moment. »Seine Sprechblasen wären also nicht ausschließlich in kyrillischen Zeichen abgefasst.«
    »Liest du etwa Comics?«, fragte sie.
    »Nicht dass du denkst, ich sei bei Tim und Struppi hängen geblieben. Es gibt noch anderes.«
    »Das weiß ich.«
    Er stutzte. »Was? Du auch?«
    »Mhm.«
    Nore Brand wickelte ein Sandwich aus dem Papier und biss hungrig hinein.
    »Als Kind durfte ich nichts dergleichen lesen. Mein Vater war zutiefst davon überzeugt, dass es mich verdirbt. Comics galten damals als Schund.« Sie kaute eine Weile schweigend weiter. »Du weißt ja, was Verbote für Auswirkungen haben.«
    »Deshalb bist du so! Und Daisy und Gundel sind schuld daran«, lachte er.
    »Ja. Und Topolino.«
    Nino Zoppa schaute aus dem Fenster und grinste. »Du liest Comics! Das hätte ich nicht gedacht. Geil!«
    »Eigentlich muss das keiner wissen. Kannst du schweigen? Ich meine, die wenigsten verstehen, dass …«
    »Ich schon. Und ich schweige. Ehrenwort.« Nino Zoppa nickte strahlend und legte feierlich die rechte Hand auf sein Herz.
     
    Jacques brachte ihr französische Comics. Stapelweise. »Solche Sachen kann man nicht übersetzen. Sprechblasen-Sprache schon gar nicht. Hier, schau mal. Das sieht doch schon ganz …«, er zögerte kurz, »… anders aus.«
    Sie wusste, dass Jacques im Begriff gewesen war, unverschämt zu werden. Er wollte ›kultiviert‹ sagen. Für ihn das einzig passende Synonym für Französisch. Aber er hatte taktvolle Momente, weil auch dies seiner Vorstellung von Kultiviertheit entsprach. Er musste nicht jede Gelegenheit nutzen, in ihrer wunden – er ging ganz selbstverständlich davon aus, dass es sich so verhielt – Deutschschweizer Seele zu stochern.
    Auch sie hatte romanische Wurzeln und damit Kultur in den Genen. Nore hatte keine Lust, ihn immer wieder daran zu erinnern. Er würde ihr wortreich und langatmig auseinandersetzen, warum ihre italienische Seite kulturell kaum ins Gewicht fiel. Seine Argumentation beschränkte sich auf Berlusconi. Doch die Zeit arbeitete für sie und solange Jacques während seiner wortreichen Erklärungen etwas Gutes kochte, konnte sie sehr gut damit leben.
     
    Der Mann vor ihr war kurz gewachsen, von vierschrötiger Statur. Sein Kopf und seine Augen waren in ständiger Bewegung. Er schien fortwährend viele Dinge und Gedanken gleichzeitig in seinem Kopf zu balancieren. Er musste weit über siebzig sein, dabei wirkte er alterslos. Das musste an seiner lebhaften Art liegen.
    »Ja, er wurde vergiftet. Die Basler Polizei hält

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