Stollengefuester
Schatten springen.«
Bei diesen Worten hielt sie ihre Augen fest auf Nore Brand gerichtet.
Nore Brand atmete langsam aus.
Also doch. Leben und Tod.
Es ging in die zweite Runde. Der Kelch würde nicht an ihr vorübergehen.
Blaubart konnte ruhig anfangen, seine Messerchen zu wetzen.
Als Nore Brand im Katharinenpalast im nachgebauten Bernsteinzimmer stand, wurde ihr auf einen Schlag bewusst, dass sie einen großen Fehler gemacht hatte. Aus diesem Grund war die Geschichte um Klara Ehrsam nicht ausgestanden.
Dabei hätte sie damals die Möglichkeit gehabt, bei Merian nachzubohren. Er hätte ihr mehr erzählt. Sie hätte ihn nur darum bitten müssen. Doch sie hatte es unterlassen.
Aus Angst? Oder war Erleichterung der Grund gewesen? Die Freude über die verrückte Wende, die diese Geschichte genommen hatte? Der Spaß an der pfiffigen Millionärin, die zwei Geheimdienste an der Nase herumgeführt hatte?
Nore hatte, verdammt noch mal, geglaubt, das Vermächtnis der Millionärin zu retten, indem sie schwieg.
Die Kommissarin Nore Brand hatte sich amüsiert und keine weiteren Fragen gestellt. Zugegeben, sie hatte sich sogar geschmeichelt gefühlt. Sie gehörte zum Kreis der Eingeweihten. Vor allem war es ein tolles Gefühl, mehr zu wissen als der große Chef.
Doch: Was genau war im Berg? Welcherart waren diese Kunstgegenstände?
Sie, die immer nachhakte, hatte es in diesem Fall unterlassen. Sie musste für einen Augenblick jede Vernunft verloren haben. Vergessen, was eine Kriminalbeamtin in einem solchen Fall zu tun hatte: Weiterfragen, weitersuchen, weiterermitteln, bis alles klar auf dem Tisch lag. Aber nein, das hatte sie nicht getan. Weiß der Kuckuck, warum! Vielleicht hatte sie einfach genug gehabt von diesem Theater. Oder war es ganz anders gewesen? Auf jeden Fall hatte sie den Nerv gehabt, ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen, mit sich und der Welt auf die rote Klara anzustoßen und sich großartig in Schweigen zu hüllen.
Das hatte sie jetzt davon.
Nur wenige Tage nach diesem Toast auf die Idee von Klara Ehrsam stand sie in diesem glänzenden Bernsteinzimmer und begriff, dass eine Überdosis Schönheit einem Menschen den Verstand rauben konnte, weil so viel Schönheit nicht auszuhalten war.
Dieser blendende Prunk war von keiner menschlichen Vernunft auszuhalten.
Doch warum, um Gottes willen, sollte alles in einen Berg hineingesteckt werden?
Um diese Wunderdinge zu retten, ja, natürlich. Sie hörte den Anwalt begeistert durch das Telefon schreien. »Diese geheime Sammlung von alten Kunstgegenständen muss bombensicher, im wahrsten Sinne des Wortes, bombensicher versteckt werden, und zwar für alle Ewigkeit. In den Schweizer Alpen!«
Er erzählte die alte Geschichte von der Klimaerwärmung, dass die Kostbarkeiten in St. Petersburg nicht mehr lange im Trockenen bleiben würden, der Finnische Meerbusen hebe sich, hähäää, dass Klara schon immer zwei und zwei zusammenzählen konnte und so weiter.
Zugegeben, sie hatte geschwiegen, doch vorher hatte sie immerhin drei Mordfälle aufgeklärt. Klara Ehrsam, Jelena Petkovic und dieser Künstler oder Kunstfälscher Jeremias Matthäus Simmer waren einer falschen Ballerina in die Quere gekommen, dafür hatte sie allen die Show gestohlen. Jetzt saß sie im Frauengefängnis und hatte Zeit, über ihre Schauspielkarriere nachzudenken. Sie sei eine vorbildliche Gefangene, hatte Nore Brand gehört. Sie leite einen Theater-Workshop, mit großem Erfolg.
Als Bastian Bärfuss ihr das mitteilte, wurde sie zornig. Doch Bärfuss lächelte. »Wir dürfen nie vergessen, dass auch Mörder Menschen sind. Mit Qualitäten. Ja, sogar mit wunderbaren Qualitäten. Wir beschäftigen uns so sehr mit ihren unappetitlichen Seiten und deren Konsequenzen, dass wir das immer wieder vergessen.«
Elsi Klopfenstein hielt ihren Blick auf Nore Brand gerichtet. Sie schien auf eine Entgegnung zu warten. Nore Brand hatte den Faden verloren. Wo waren sie stehen geblieben?
Leben und Tod, echote es in ihr.
Nore Brand erinnerte sich daran, mit welcher Intensität diese Frau vor ihr, die für einen Augenblick verstummt war, schweigen konnte. Es war eine fürchterliche Intensität, es war ein geradezu donnerndes Schweigen, das von Elsi ausging.
Wenn sie mal schwieg.
Doch Elsi war nicht gekommen, um zu schweigen. Sie schob ihren Stuhl ganz nahe zu Nore Brand hin.
Es war wieder laut geworden im Café. Eine Reisegruppe aus dem Waadtland suchte verzweifelt und vergeblich freie Stühle. »Im Dorf
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