Stolperherz
Es war klar, wenn ich nicht spätestens übermorgen irgendwo vergessen werden wollte, musste ich mich mehr einbringen, egal wie schwer es mir fiel. Und das eben war immerhin ein Anfang gewesen.
»Na, dann kommt mal mit«, winkte Peter uns, »ausräumen könnt ihr später.« Mittlerweile waren auch die anderen ausgestiegen und sahen sich fragend um. »Wo soll die Bar denn sein?«, fragte Schleicher. »Wir konnten nirgendwo einen Eingang sehen.«
»Das hat schon seine Richtigkeit so«, erklärte Bart, »soll ja erstens nicht Hinz und Kunz hier reinspazieren, das ist ’ne Kultbar, kapiert? Und zweitens heißt es Under ground, wenn ihr versteht, was ich meine.«
»Ich hab’s, ich hab’s!«, brüllte Flocke überflüssigerweise los. »Die Bar liegt im Keller, richtig?«
Den anderen war Flocke augenblicklich peinlich, das war mehr als nur offensichtlich.
»Hundert Punkte«, bestätigte Bart Flockes Vermutung schmunzelnd, »die erste Runde geht auf mich.«
»Yeah!«, freute sich Flocke laut, drehte sich um und hielt den Jungs hinter ihm die Hand ausgestreckt zum High five hin. Aber niemand reagierte darauf. Verlegen fuhr sich Flocke kurz durch die Haare, hatte sich aber nach wenigen Sekunden wieder gefangen. »War nur’n Spaß, keine Angst, ich beiß nicht gleich ins Gras!«
»Hier lang«, deutete Bart uns den Weg und zeigte auf eine alte Steintreppe, die sich hinter einer großen, schwarz lackierten Holztür auftat.
*
Als wir den dunklen Raum betraten, der nach altem Gemäuer und kaltem Rauch roch, konnte ich mir sofort vorstellen, dass hier bereits wilde Partys gefeiert worden waren. Mein Blick schweifte durch die Kneipe. An den Wänden hingen Bilder von Besuchern der Bar, die eine große Ähnlichkeit mit unserem Gastgeber Bart vorzuweisen hatten und allesamt deutlich älter waren als die Crystal-Jungs. Ich überlegte, wie die Musik, die Crystal machte, hierher passte. Tobi, Greg und die anderen schienen diese Sorge aber offenbar nicht zu teilen, sie lehnten bereits lässig an der Bar, die aus einem wuchtigen Holztresen bestand, der schon viele Kerben aufweisen konnte. Michelle tat es ihnen nach und machte dabei Bart schöne Augen. Auch Kira war den Jungs an die Bar gefolgt, nur Flocke und ich standen immer noch mitten im Raum.
»Cooler Laden!«, sagte Tobi anerkennend Richtung Bart.
Der nickte. »Danke.« Dann baute er sich vor den Jungs auf. »Erst mal ’n paar Fakten: Pennen könnt ihr in der Anliegerbude im Hinterhof, ich zeig euch gleich, wo. Gig beginnt um acht, grundsätzlich könnt ihr gleich mit dem Aufbau anfangen, Soundcheck ist auch kein Thema, stört ja keinen. Essen heute Abend geht aufs Haus, die erste Runde auch, alles andere kommt auf einen Sammeldeckel und wird dann vom Honorar abgezogen. Bitte nicht zu viel Selbstgekritzeltes, Tanzmucke geht immer und Covermucke eh. Klar so weit?«
»Geht klar«, bestätigte Lex das Gesagte und sah in die Runde. »Alles klar«, erklärte sich auch Tobi einverstanden, »dann fangen wir jetzt mal an.«
Während die Bandmitglieder sich daranmachten, die Ausrüstung in die Bar zu schleppen, was angesichts der wirklich steilen Steintreppe eine echte Herausforderung darstellte, sahen Michelle, Kira und ich uns in der Anliegerwohnung vom Underground II um. Die Wohnung besaß nur zwei Zimmer, die auch nicht besonders groß waren. Überhaupt glich das Ganze eher einer ausgebauten Garage. In einem Zimmer stand ein Doppelbett und ein vergilbtes Klappsofa, das auch schon bessere Tage gesehen hatte. In dem anderen eine große Couch mit aufgeplatzten Ecken, neben der zwei Matratzen auf dem Boden lagen. Insgesamt machte alles einen sehr verranzten Eindruck auf mich – meine Mutter wäre wahrscheinlich schreiend weggelaufen und mit achtzehn Sprühflaschen Desinfektionsmittel wiedergekommen. Wobei sie wahrscheinlich gar nicht wiedergekommen wäre, wenn ich mir die beiden vergilbten Matratzen so ansah. Ich musste mich wohl auf eine etwas reduziertere Wohnlichkeit einstellen, als ich es von zu Hause gewohnt war – aber das machte mir nichts. Im Gegenteil, ich freute mich auf diese neue Erfahrung außerhalb der Komfortzone. Allerdings überkam mich eine leichte Panik, wenn ich die Schlafmöglichkeiten im Geiste durchging – einige von uns würden zusammen auf einem Sofa oder im Bett schlafen müssen, und ich hoffte, dass Flocke so weit wie möglich entfernt von mir einquartiert werden würde – immerhin wollte ich ihm keine Möglichkeit zu einem erneuten Angriff auf
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