Stolperherz
ihrem Telefon und rang mit sich, nicht in der Klinik anzurufen. Ich betete, dass sie ihr Versprechen einhielt, denn sonst war dieser Trip hier für mich schneller beendet, als Michelle sich eine neue Beleidigung für mich ausdenken konnte. Und das wollte ich in keinem Fall riskieren.
*
Um kurz vor acht war das Underground II noch nicht einmal halbvoll, obwohl es ein Freitag war. Bart schien entsprechend unzufrieden über den geringen Besucherzulauf und zapfte mürrisch dreinblickend seine Biere. Michelle hatte sich für heute Abend anscheinend auf bärtige Barbesitzer Ende dreißig spezialisiert und himmelte Bart ungehemmt an, der dies aber weitgehend ignorierte.
Das Telefonat mit meiner Mutter war kurz und schmerzlos gewesen – sie hatte mir eine ruhige Fahrt und eine gute Ankunft abgenommen und mir auch geglaubt, dass ich nun, völlig erledigt, auf dem direkten Weg zum Abendessen und dann ins Bett war. Glücklicherweise hatte sie nicht darauf bestanden, einen der Ärzte zu sprechen und auch sonst nichts unternommen, was meinem Trip ein Ende hätte setzen können. Erst als ich aufgelegt hatte, spürte ich, wie erleichtert ich war, dass mein Plan zu funktionieren schien.
Als ich in die Bar kam, waren Tobi, Greg und Lex gerade dabei, die Songfolge abzustimmen, während Schleicher seine E-Gitarre stimmte. In Ermangelung einer Alternative stellte ich mich zu Flocke an die Theke. Er schien nervös zu sein, denn er schwitzte auffällig und ich war mir nicht sicher, ob ich einen grünen Schimmer in seiner Gesichtsfarbe entdecken konnte. »Geht’s dir nicht gut?«, erkundigte ich mich deshalb.
»Ich glaub, ich muss gleich brechen.« Flocke hielt sich den Bauch, während er sich zur optischen Verstärkung des Effektes leicht nach vorne krümmte.
»Was ist denn los?«, hakte ich nach. »Hast du was Falsches gegessen? Das Essen gerade war doch okay, oder …«
Barts Essen war wirklich gut gewesen – er hatte für jeden von uns einen riesigen Burger mit Salat gemacht. Ich hatte meine Portion kaum geschafft und mehr gegessen, als ich eigentlich konnte, denn so etwas wunderbar Ungesundes hatte ich schon lange nicht mehr genossen.
»Ich hab noch nie vor Leuten gespielt«, sagte Flocke und ich bildete mir ein, dass er jetzt noch grüner wirkte. »Also so wirklich. Live und alles.«
Dass ihn diese Tatsache aus der Fassung brachte, leuchtete mir sofort ein – ich würde auf der Stelle in Ohnmacht fallen, müsste ich in wenigen Minuten hier auftreten. Allerdings war es doch das, was er sich immer gewünscht hatte, und zudem waren ja auch noch nicht übermäßig viele Gäste da. Aber so ist das mit Wünschen – wenn sie sich erfüllen, hat man direkt ein neues Problem.
Nach und nach füllte sich der Raum ein wenig; einige Leute stellten sich unmittelbar vor die aufgebauten Instrumente, denn eine Bühne gab es nicht, und Flockes Gesichtsgrün hatte die nächste Stufe erreicht.
»Du machst das sicher ganz großartig«, versuchte ich Flocke zu ermutigen, und musste ein wenig schmunzeln, dass gerade ich hier die Ratgeberin spielte. »Schließ einfach die Augen, so wie du es im Probenraum gemacht hast. Stell dir vor, du spielst in deinem Zimmer, nur für dich.«
»Hm«, machte Flocke. Er tat mir augenblicklich ein wenig leid, obwohl es ja eigentlich keinen Grund dafür gab.
»Ich hab extra zur Beruhigung eine Portion Jelly Beans aufs Keyboard gestellt«, sagte er seufzend, »das beruhigt mich eigentlich sonst immer. Aber heute scheint es nicht zu funktionieren.«
Mein Blick ging rüber zum Keyboard und tatsächlich: Da stand eine kleine Schale mit den bunten Süßigkeiten am äußersten Rand des Keyboards. Flocke war ohne Fast Food und seine Süßigkeiten anscheinend aufgeschmissen.
»Du schaffst das schon!«, versuchte ich ihm noch einmal Mut zu machen und klopfte ihm beherzt auf die Schulter. Sanny Tabor als Ihr persönlicher Mutmacher Teil 1 – was für eine Ironie.
»Danke.«
Flocke atmete tief durch.
»Himmel, bin ich froh, dass ich ab und zu meditiere. Sonst wär ich heute ’n ziemlich irrer crazy Typ.«
»Stimmt. Da können wir wirklich froh sein.«
Ich tätschelte zur Beruhigung seine Schulter.
»Mmmmhh, das ist gut!«, summte Flocke, »geht das auch ganzkörpermäßig, nachher, wenn wir alleine sind?«
Ich knuffte ihn in die Seite »Simon!«
»Man wird ja noch mal fragen dürfen!«, antwortete Flocke schmollend.
Lex hatte sich bereits hinters Schlagzeug gesetzt und deutete den anderen Jungs an, seinem
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