Stolz und Verfuehrung
nickte und kehrte ins Gasthaus zurück.
11
Der Montagmorgen begann mit einem herrlichen Sonnenaufgang. Em lief geschäftig durch das Gasthaus. Die Arbeit ließ die Zeit wie im Fluge vergehen. Mitten am Vormittag wollte Jonas vorbeikommen und sich die Buchhaltung anschauen; alles war gut vorbereitet, und sie musste sich darüber wirklich nicht den Kopf zerbrechen.
Gäste kamen zum morgendlichen Tee und probierten Hildas jüngste Gebäckkreationen. Alles war in bester Ordnung - der Schankraum, zur Hälfte gefüllt, erweckte den Eindruck eines erfolgreich geführten Gasthauses -, als Em im Büro die Räder einer kleinen Kutsche auf dem Kies im Hof knirschen hörte.
In der Annahme, dass Jonas mit seinem Zweispänner vorgefahren war, verließ sie ihr Heiligtum und eilte ihm Richtung Tür des Gasthauses entgegen. Bevor ihre innere Stimme sie fragen konnte, was sie da eigentlich tat, steckte sie den Kopf hinaus...
Und zog sich sofort zurück.
Der Gentleman, der aus dem offenen Gig stieg, war nicht Jonas.
Und er hatte sie bereits gesehen.
Dessen ungeachtet wirbelte sie herum, hastete, nein, sie rannte zurück in ihr Büro, schaffte es aber nicht rechtzeitig. Gerade hatte sie den Tresen erreicht, als eine Stimme schallend rief: »He, Em! Was zum Teufel machst du hier?«
Jeder einzelne Gast in der Schankstube unterbrach sein Gespräch und starrte den Mann an. Das köstliche Gebäck lag vergessen auf dem Tisch, als die Leute den großen, untersetzten Gentleman im Türrahmen bestaunten, dessen zornige Miene von ernstem Groll gezeichnet war.
Erschrocken und ertappt starrte Em wie alle anderen ihren Onkel Harold Potherigde an, den Mann aus dem Herrenhaus in Leicestershire ohne bezahlte Angestellte.
Stirnrunzelnd schwenkte er seinen Spazierstock in ihre Richtung. »Hab überall nach dir gesucht.« Schwerfällig bewegte er sich nach vorn. Er war schick, vielleicht ein wenig zu farbenfroh gekleidet. Affektiert nutzte der Mann seinen Spazierstock, obwohl er ihn nicht brauchte, denn er war noch recht rüstig, obwohl er die besten Jahre bereits hinter sich hatte.
Aus den Augenwinkeln bemerkte Em, wie Edgar seinen Posten hinter dem Tresen verließ. Halb erwartete sie, dass er neben ihr auftauchen würde; aber er blieb verschwunden. Stattdessen näherte Harold sich Schritt für Schritt, bewegte sich feindselig in die Mitte des Schankraumes und strafte alle anderen Gäste mit arroganter Missachtung.
»Was hat das alles zu bedeuten, he?« Vor dem Tresen blieb er gut sichtbar für alle im Raum stehen. Er genoss es sichtlich, ein Publikum zu haben, senkte den Spazierstock und funkelte sie zornig an. »Mein Haus einfach so zu verlassen, nachdem ich dich und deinen Bruder und deine Schwester aufgenommen habe. Sogar diese schrecklichen Halbschwestern habe ich ertragen, anstatt die teuflischen Gören vor die Tür zu setzen, was ich jederzeit hätte tun können.«
Ein leises Keuchen erklang aus der Ecke des Raums, in der die Damen saßen. Den Ausdruck aufsteigender Wut, der das Keuchen begleitete, sah Harold nicht. Er war davon überzeugt, dass nur ihre unerhörte Flucht aus seinem Haus die Reaktion hervorgerufen haben konnte, und lächelte triumphierend.
Widerwillig blieb Em stehen und sah ihn an. Es war zu spät, der Schaden war bereits angerichtet. Issy hielt sich mit den Zwillingen oben auf - sie mussten die Auseinandersetzung nicht mitbekommen -, und Henry war im Pfarrhaus. Sie würde allein mit Harold fertig werden.
Kühl senkte sie den Kopf. »Guten Morgen, Onkel Harold. Ich habe dir eine Nachricht hinterlassen. Du warst beim Pferderennen, wenn du dich erinnern möchtest.«
»Ich erinnere mich sehr gut, Mädchen.« Harold funkelte sie wieder zornig an. »Aber ich begreife nicht, warum du mein Haus verlassen hast. Wie du es wagen konntest, einfach auf und davon zu gehen!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stampfte er mit dem Spazierstock auf den Boden. »Ich trage die Verantwortung für dich. Und ich sage, dass dein Platz an meiner Seite ist, genau wie der deiner Schwester und deines Bruders.« Er gestikulierte mit dem Spazierstock in ihre Richtung und drehte sich halb zur Tür. »Los, hol deine Sachen. Du kehrst mit mir nach Runcorn zurück. Sofort.«
Em hob das Kinn. »Ich denke nicht, Onkel.«
Seine Wangen schimmerten violett. Eilig fuhr Em fort: »Wenn du dich mit Mr Cunningham beraten willst, unserem Anwalt, wie du dich erinnern wirst, dann wird er dir bestätigen, dass ich seit meinem fünfundzwanzigsten
Weitere Kostenlose Bücher