Stolz und Verfuehrung
alles wieder »gut werden« würde.
Dann kam Hilda, drängte alle beiseite und drückte Em einen Becher Tee - der ganz nach ihrem Geschmack zubereitet worden war - in die Hände.
»Bitte sehr. Sobald Sie das getrunken haben, werden Sie sich viel besser fühlen.« Hilda schaute zu Jonas hinüber, der die Hände auf die Hüften gestützt hatte und grimmig zu Em hinunterschaute. »Und dann werden wir uns überlegen, was zu tun ist.«
Hilda drehte sich um und stieß Jonas mit dem Finger in die Brust, obwohl er ihr nicht unbedingt im Weg stand. »Lassen Sie ihr ein wenig Zeit. Muss erst mal wieder zu Atem kommen, ja, das muss sie.« Damit eilte sie zurück in die Küche.
Em nippte an dem Tee und versuchte, ihre Nerven zu beruhigen und ihre Gedanken zu ordnen. Sie hatte Harold in die Flucht geschlagen. Aber der Mann würde zurückkommen; das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Hinter ihr kündigte eine leise Aufregung die Ankunft von Phyllida an, Lucifer folgte ihr. Phyllida warf ihrem Zwilling einen Blick zu, den Jonas allerdings nicht erwiderte. Gleichwohl schien sie an seiner Miene alles ablesen zu können, was sie wissen wollte. Sanft beugte sie sich hinunter, ergriff Ems Arm und drückte ihn zart. »Sweetie hat uns erzählt, was passiert ist. Was auch immer Sie brauchen, wir sind alle für Sie da.«
Em schaute in die dunklen Augen, blinzelte heftig und registrierte mit einem raschen Blick rundum, dass jeder Kopf zustimmend nickte, Jonas eingeschlossen.
Lady Fortemain lehnte sich dichter zu ihr. »Stimmt es, was Sie gesagt haben? Dass er, Ihr Onkel, Sie und die anderen als unbezahlte Dienstboten in seinem Haus hat arbeiten lassen?«
»Ja.« Em hielt inne, atmete dann tief durch und ließ der Wahrheit freien Lauf. »Wir haben in York gelebt. Unsere Mutter ist gestorben, als wir noch klein waren, und später dann auch unser Vater ...«
Sie erzählte die ganze Geschichte, in allen Einzelheiten - und ließ nur zwei Dinge aus. Sie enthüllte ihren wahren Nachnamen nicht, was, alles in allem, schließlich nichts änderte; und sie verschwieg den wahren Grund, der sie nach Colyton geführt hatte, insbesondere den geheimnisvollen Schatz der Familie.
Während sie sprach, schaute sie sich um. Das gesamte Dorf musste einsam und verlassen sein, denn jedermann hatte sich in die Gaststube gezwängt und lauschte ihren Worten. Nur ihre Geschwister waren nicht zu sehen, aber sie befanden sich in Sicherheit und außerhalb von Harolds Reichweite. Joshua hatte ihr versichert, dass Henry sich noch im Pfarrhaus aufhielt und die Nase in ein Buch gesteckt hatte; Issy und die Zwillinge waren noch im Obergeschoss.
Am Ende von Ems Geschichte stützte sich Miss Hellebore, die sich auf einem der bestens gepolsterten Lehnstühle niedergelassen hatte, auf ihren Stock, beugte sich vor und bemerkte mit tiefem Mitgefühl: »Es tut mir ungeheuer leid, meine Liebe. Ich fürchte, ich habe diesem Unhold ein Zimmer in meinem Haus vermietet. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, dass er hierhergekommen ist, um Ihnen Ärger zu machen.« Ihr üppiges Doppelkinn schwabbelte schamvoll. Durch die Vermietung der Zimmer im Erdgeschoss ihres Hauses verdiente die Frau sich ein wenig Nadelgeld hinzu.
Em beugte sich zu der alten Lady hinüber und drückte ihr die Hand. »Es ist nicht Ihr Fehler. Niemand macht Ihnen einen Vorwurf.«
Miss Hellebore schniefte. »Nun, Ihre Worte sind sehr freundlich, meine Liebe. Aber ich möchte nicht, dass unter meinem Dach der Ärger wohnt, der schließlich Sie treffen wird.« Sie warf Lucifer und Joshua einen Blick zu. »Wenn mir jemand zu Hilfe kommt, kann ich gleich nach Hause gehen und ihn rauswerfen.«
Die Männer hatten sichtlich große Lust, ihr die erbetene Hilfe zukommen zu lassen, aber ... Em hob die Hand. »Nein, bitte. Denn mir gefällt der Gedanke, dass Harold für die Übernachtung zahlen muss. Sie können sich sicher vorstellen, dass er ein elender Geizkragen ist. Aber davon abgesehen, wenn er nicht bei Ihnen bleiben kann, wird er versuchen, sich hier einzunisten. « Die Leute murmelten dunkel, dass es ihm kaum gelingen würde. »Außerdem«, fuhr Em fort, »ist er stur und hartnäckig. Also wird er irgendwo einen Unterschlupf finden, und ... nun, mir ist es lieber, ich weiß, wo er steckt, solange er sich hier aufhält.« Sie ließ den Blick schweifen und schließlich auf Jonas ruhen. »Irgendwann wird er merken, dass wir nicht klein beigeben und das Dorf verlassen werden.«
Einige brummten
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