Stolz und Verfuehrung
Befindet es sich im Keller?«
Em erschrak, verkrampfte sich zu ihrem eigenen Erstaunen jedoch nicht.
Er wartete.
Em wusste, warum sie aus dem Schatz stets ein Geheimnis gemacht hatten. Sie und ihre Geschwister hatten angenommen, dass die Leute im Dorf möglicherweise eine Gefahr darstellen oder den Schatz für sich selbst beanspruchen würden.
Das war ihre Vorstellung gewesen, bevor sie in Colyton eingetroffen waren. Und jetzt ... jetzt kannten sie die Menschen hier, waren von ihnen aufgenommen worden. Die Bewohner des Dorfes Colyton, ganz gleich von welchem Stand, lebten Seite an Seite, so eng verbunden wie eine weitverzweigte Familie. Und ihre eigene Familie war herzlich aufgenommen worden, nahm mittlerweile einen festen Platz ein in dem dörflichen Gefüge. Bestand überhaupt noch die Notwendigkeit, ihr Geheimnis so streng zu hüten?
Es war eine Frage des Vertrauens, und zu den meisten Menschen in Colyton hatte sie längst Vertrauen gefasst. Und Jonas?
Sie war hier bei ihm, lag in seinen Armen, hatte ihn in ihren Körper aufgenommen, hatte ihm körperlich vertraut und in gewisser Hinsicht auch gefühlsmäßig.
Em vertraute auch ihm. Sie wusste, dass er ein ehrenwerter Mann war.
Ungeachtet der Frage, ob sie ihn heiraten würde oder nicht, er würde ihr helfen und stellte weder für sie noch für ihre Familie eine Bedrohung dar. Davon war sie felsenfest überzeugt.
Em atmete tief durch. Wo sollte sie anfangen?
»Ich habe dir gesagt, dass ich Emily Beauregard heiße. Aber mein voller Name lautet Emily Ann Beauregard Colyton.« Sein Körper regte sich unter ihrem, aber bevor er das Wort ergreifen konnte, fuhr sie schon fort. »Mein Urgroßvater war der letzte Colyton, der im Dorf gelebt hat. Mein Großvater und mein Vater ...«
Kurz und bündig skizzierte sie die Familiengeschichte. Als sie bei der Geschichte vom Schatz angekommen war, schwieg er ebenso fasziniert wie sonst nur die Zwillinge. Em hielt nichts zurück; welchen Grund hätte es auch geben sollen? Ihre eingeborene Vorsicht verriet ihr, dass sie von ihm nichts zu befürchten hatte.
»Nun, das ist es, was ich versuche, ausfindig zu machen«, schloss sie, »diesen Schrein, den nur ein Colyton öffnen kann, und zwar im untersten Stock im Haus des Höchsten.«
Erstaunt schüttelte Jonas den Kopf. Em war so zur Seite gerutscht, dass sie sein Gesicht sehen konnte. In seinen Augen entdeckte sie nichts als Ernsthaftigkeit, Aufrichtigkeit und Erstaunen.
Grinsend fing er ihren Blick auf. »Dann bist du wirklich eine Colyton. Eine Colyton aus Colyton.«
»Ja.« Em hatte keine Ahnung, warum dieser Punkt - der zwar zur Sache gehörte, ihr aber nicht besonders wichtig war -ihn so sehr erfreute. »Nun, willst du und kannst du mir helfen, den Schatz zu finden?«
Er blinzelte. »Natürlich.« Jonas schaute quer durch die Vorratskammer zur Tür und drängte sie hoch. »Jetzt ist die beste Gelegenheit. Ich stimme dir zu, dass das Gutshaus wahrscheinlich das Haus des Höchsten ist. Meine Familie bekleidet seit Generationen das Amt des Friedensrichters in dieser Gegend, das passt also. Lass uns gehen und die Keller durchsuchen.«
Sie standen auf und brachten ihre Kleidung in Ordnung, bevor er ihr die Tür öffnete und sie beide zum Gutshaus hinübereilten.
Mortimer begegnete ihnen auf ihrem Weg in die Küche.
»Sie kommen wie gerufen«, sagte Jonas, »Miss Beauregard ist auf der Suche nach einem lange verlorenen Schrein oder einem Kasten, den jemand aus ihrer Familie hier möglicherweise vor Jahrhunderten versteckt hat. Er soll sich im Keller befinden. Wissen Sie irgendetwas über einen geheimnisvollen Kasten?«
Mortimer schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Aber ich kann natürlich nachsehen.«
Em drängte sich an Jonas vorbei. »Ich helfe.«
»Wir werden helfen.« Jonas fasste sie am Handgelenk und zog sie an seine Seite, während er Mortimer an sich vorbeiwinkte. »Gehen Sie voran.«
Der Mann ging in die Küche. Em begrüßte Gladys und Cook, drehte sich dann zu der schweren Tür, die der Butler geöffnet hatte.
Mortimer zündete die Laterne an, hob sie hoch und führte sie über die Treppe nach unten. Jonas winkte Em an sich vorbei und folgte ihr dann.
Der Keller des Gutshauses wurde täglich benutzt. Jonas konnte sich nicht vorstellen, wie irgendeine unbekannte Truhe Mortimers, Cooks oder Gladys’ Aufmerksamkeit hätte entgangen sein sollen, geschweige denn ihren zahlreichen Vorgängern. Aber nachsehen mussten sie trotzdem.
Mortimer und Em schritten
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