Stolz und Verfuehrung
es wissen könnte. Mrs Thompson. Das sind die beiden Einzigen, und sie sind unbestritten die Ältesten im Dorf. Niemand in den umliegenden Ortschaften ist auch nur annähernd so alt wie sie.«
Em nickte entschlossen und wandte sich zur Tür. »Wir sollten es zuerst bei Mrs Thompson versuchen.«
Jonas folgte ihr eilig.
Filing und Henry wechselten Blicke, nicht erfreut darüber, zurückgelassen zu werden. Es war Filing, der ihnen schließlich hinterherrief: »Kommt zurück und erzählt, was ihr erfahren habt!«
An der Haustür drehte Em sich noch einmal um und erwiderte: »Selbstverständlich. Aber es kann eine Weile dauern.«
Em flehte innerlich, dass die alte Mrs Thompson, aufgeweckt und rüstig, wie sie war, sich genauestens an die Beerdigung ihres Urgroßvaters erinnern und ihr sagen konnte, wo das Ereignis stattgefunden hatte. Aber ...
Wie erwartet war die Angelegenheit nicht so einfach.
Sie fanden Mrs Thompson in ihrem Häuschen hinter der Schmiede, wo sie auf Oscar wartete, der ihr eine von Hildas Pasteten zum Mittagessen bringen sollte. Die alte Frau freute sich über ihren Besuch, der Gesellschaft und Abwechslung versprach.
»Oh, ja, ich kann mich noch bestens an das Begräbnis erinnern. War eine große Sache.« Ihr aufmerksamer Blick schweifte in die Ferne, als sie mit dem grauen Haupt nickte. »Alle haben sich ihre besten schwarzen Kleider angezogen und sind hingegangen. Natürlich war das ganze Dorf dabei, aber auch viele aus der besseren Gesellschaft und andere Leute aus der Gegend. Ich war erst sieben Jahre alt oder so, aber es haftet mir noch im Gedächtnis, als ob es gestern gewesen wäre.«
Em lehnte sich nach vorn, hatte die Hände fest aneinandergedrückt. »Können Sie sich auch noch daran erinnern, wo man den Sarg bestattet hat?«
Mrs Thompson schüttelte den Kopf. »Nein, meine Liebe. Ich war zu jung, um an der Trauerfeier teilzunehmen. Es war sowieso kein Platz mehr frei. Aber ...« Sie zog die Stirn kraus, ließ den Blick wieder in die Ferne schweifen, als sie die vergangenen Jahrzehnte an sich vorüberziehen ließ. »Ich war draußen, habe auf dem Friedhof gespielt. Daher weiß ich noch, dass sie den Sarg überhaupt nicht nach draußen getragen haben.« Sie konzentrierte sich wieder auf Em. »Ich nehme an, dass er in der Gruft bestattet worden ist. Nicht wahr?«
Em lächelte schwach. »Das mag sein. Aber wir versuchen herauszufinden, wo genau er liegt. Es kann sein, dass es sich um einen anderen Teil der Gruft handelt als jenen, der heute noch genutzt wird.«
»Ah.« Mrs Thompson nickte weise. »Das war vor langer Zeit.«
Jonas erhob sich. »Vielen Dank, dass Sie Zeit für uns hatten, Mrs Thompson.«
»Und für Ihre Erinnerungen.« Em erhob sich ebenfalls.
Mrs Thompson stand auf, um sie zur Tür zu begleiten. »Ich konnte Ihnen wohl nicht sehr weiterhelfen. Aber wenn Sie herausfinden wollen, wo Ihr Urgroßvater begraben ist, dann würde ich an Ihrer Stelle die alte Mrs Smollet fragen. Wahrscheinlich war sie damals schon zehn Jahre alt oder älter. War ein frühreifes Kind, unsere Eloisa Smollet, ja, das war sie. Musste ihre Nase immer in alles stecken, was sie rein gar nichts angeht. «
An der Tür hielt Mrs Thompson inne, suchte Ems Blick und nickte. »Gehen Sie zu ihr, und fragen Sie sie. Mag sein, dass sie selbst auch nicht auf der Beerdigung gewesen ist, genauso wenig wie ich. Aber ihre älteren Brüder sind bestimmt dort gewesen. Und ich will einen Besen fressen, wenn Eloisa nicht darauf beharrt hat, dass ihr alles haarklein erzählt wird.«
Mrs Thompson richtete ihren hellen Blick auf Jonas. »Merken Sie sich meine Worte. Wenn überhaupt noch jemand weiß, wo der letzte Colyton von Colyton begraben liegt, dann Eloisa Smollet.«
Sie kehrten für einen kleinen Imbiss kurz ins Gasthaus zurück. Zuvor hatten sie sich darauf verständigt, mit niemandem über die jüngsten Entwicklungen zu sprechen, ganz besonders nicht mit den Zwillingen. Darum durften sie auch Issy nichts verraten, wie Em Jonas erklärte: »Issy kann einfach nichts Vortäuschen, und die Zwillinge sind zu scharfsinnig. Sobald sie merken, dass Issy irgendetwas weiß, werden sie es aus ihr herausholen und sich dann an unseren Rockzipfel hängen.«
Unter seiner oberflächlichen Ruhe lauerte immer noch der Beschützerinstinkt - Jonas war davon überzeugt, dass Em während ihrer Suche bei ihm sicher war, denn er würde sie nicht aus den Augen lassen. Hätten sie die Zwillinge dabei, müsste er in drei Richtungen
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