Stolz und Verfuehrung
schloss sich ihrer Familie an.
Em fing Henrys Blick auf und winkte ihn zu sich herüber. Er nickte, und als sie den Abstieg vom Hügel begann, bemerkte sie aus den Augenwinkeln, wie Henry sich ebenfalls auf den Weg machte - mit Jonas Tallent an seiner Seite.
Aber dann rief Filing nach Jonas, der stehen blieb und Henry mit einer Geste zu verstehen gab, allein weiterzugehen. Jonas kehrte zurück, um sich mit Filing zu unterhalten. Ems Atem ging leichter. Sie fühlte sich nicht in der Lage, mit ihrem Dienstherrn zu plaudern. Nicht wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Issy lächelte zufrieden, als sie den Zwillingen den Hügel hinunterfolgte und den Ententeich umrundete. Henry schloss zu ihnen auf und setzte sich dann an die Spitze der Truppe.
Em war klar, dass Jonas irgendwo hinter ihnen schlenderte, sie konnte seinen Blick in ihrem Nacken spüren. Sie hingegen musterte Henry. War sie zu misstrauisch, wenn sie vermutete, dass Jonas ihren Bruder eingeladen hatte, um sie milde zu stimmen? Vielleicht dachte er - richtigerweise -, er könne dieses Ziel am ehesten erreichen, wenn er ihre Geschwister mit Freundlichkeiten bedachte.
Aber vielleicht blickte sie auch zu tiefgründig, wo es überhaupt nichts zu erblicken gab.
Doch eins war klar: Wenn Jonas Tallent den Nachmittag mit Henry auf einer Ausfahrt verbrachte, würde er nicht im Gutshaus sein.
Es war nur vernünftig, die Gelegenheit beim Schopf zu packen, wenn sie sich bot. Am selben Nachmittag um kurz nach zwei Uhr klopfte Em an die Hintertür des Guthauses, nachdem sie Jonas mit Henry hatte davonfahren sehen. Die Haushälterin Gladys öffnete.
»Miss Beauregard! Du meine Güte! Sie hätten die vordere Tür nehmen sollen, Miss.« Sie warf einen Blick über die Schulter. »Oder macht Mortimer ein Schläfchen und hat Ihr Klopfen nicht gehört?«
»Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Ich bin absichtlich auf diesem Weg gekommen. Weil ich Sie und«, Em deutete auf die gemütliche Küche, »Cook besuchen möchte.«
Gladys zeigte sich überrascht, aber offen und empfänglich. »Wenn das so ist, meine Liebe, dann treten Sie nur ein und nehmen Sie Platz.«
Em gehorchte und begrüßte lächelnd die Frau, die Teig knetend am Küchentisch stand und von allen nur »Cook« genannt wurde. »Orangengebäck«, erwiderte die Köchin auf ihren fragenden Blick.
»Ah! Nun, das ist genau der Grund, weshalb ich zu Ihnen gekommen bin. Ich wollte Sie über Rezepte ausfragen, solche, die für diese Gegend typisch sind. Ich habe mir überlegt, dass das Gasthaus sich auf regionale Küche konzentrieren sollte.«
Ihre Erklärung entsprach der Wahrheit. Seit einigen Tagen schon trug sie sich mit diesem Gedanken. »Damit wird sich das Red Beils von anderen Gasthäusern unterscheiden. Wir in Colyton haben dann etwas Besonderes, was niemand sonst anbietet. Nämlich eine einzigartige Speisekarte. Aber das bedeutet, dass wir genügend Rezepte aus dem Ort sammeln müssen.«
Cook wechselte einen Blick mit Gladys. »Nun, ich glaube, da können wir Ihnen helfen.«
Gladys nickte. »Bestimmt werden Sie Cilla in Dottswood fragen wollen, die Köchin von Ballyclose und genauso Mrs Hemmings in Colyton Manor.«
»Und Mrs Farquarson«, ergänzte Cook, »sie besitzt ein großartiges altes Rezeptbuch, das sie von ihrer Tante bekommen hat, die wiederum ihr ganzes Leben in Colyton verbracht hat. Die Tante ist inzwischen verstorben, aber die Rezepte sind noch da.«
Em zog Papier und Stift aus ihrem Retikül und machte sich ein paar Notizen. Gladys kochte Tee. Mortimer schloss sich ihnen an. Eine Weile verging, bis der richtige Moment gekommen war, aber dann bemerkte sie: »Die Keller des Gasthauses sind erstaunlich geräumig.« Sie ließ den Blick über die hölzerne Tür schweifen, die ein Stück weiter den Flur hinauf zu sehen war und in die Spülküche führte. »Ist das bei den Häusern in dieser Gegend so üblich? Gab es einen besonderen Grund, solch geräumige Keller zu bauen?«
Mortimer lächelte. »Den Grund kenne ich nicht, aber die Keller in diesem Haus sind auch recht groß und verschachtelt. Möglicherweise benötigten die Menschen, die früher in diesen alten Häusern lebten, mehr Platz, um Lebensmittel und Ähnliches einzulagern. Man hat sogar unterirdische Tunnel gebaut, die die verschiedenen Außengebäude miteinander verbinden, wie zum Beispiel die Ställe und die Vorratskammern mit den Kellern unter dem Haus.«
Es kostete Em nicht die geringste Mühe, interessiert dreinzublicken.
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