Stolz und Verlangen
versuchte sie verzweifelt, sich zusammenzunehmen, doch die Emotionen, die sie während der letzten Tage so bemüht verdrängt hatte, verlangten ihren Tribut und brachen sich Bahn. Da er sie noch niemals hatte weinen sehen, legte Jez ihr eher zögernd und umständlich den Arm um die Schultern.
„Wer, um Himmels willen, war denn dieser Typ?“, fragte er, als sie sich endlich ein wenig beruhigt hatte. „Was wollte er überhaupt von dir?“
Molly war so aufgewühlt, dass sie Jez die ganze Geschichte bis ins Detail erzählte. Sie musste es einfach loswerden.
Je mehr sie erzählte, desto strenger wurde Jez’ Miene. Zwar sagte er kein Wort der Kritik, aber sein Gesicht sprach Bände und drückte seine Enttäuschung aus. In Bezug auf Leandro dagegen blieb er nicht so zurückhaltend.
„Ein Mädchen wie du gehört nicht in eine Limousine.“ Als er sah, wie sie zusammenzuckte, fügte er hastig hinzu: „Ich meine, ein Typ mit so viel Geld sollte sich nicht an dich heranmachen, nur weil er sich in seinen eigenen Kreisen langweilt.“
Jez besaß eine Fähigkeit, Menschen zu durchschauen, die Molly respektierte. „Man stelle sich vor, da erwartet er doch tatsächlich von mir, dass ich seine Geliebte werde!“ Sie lachte humorlos auf. „Sehe ich etwa aus wie eine Dekoration?“
„Ich hätte ihm einen Kinnhaken verpassen sollen“, brummte Jez. „Du kannst etwas viel Besseres bekommen.“
„Nicht, falls ich schwanger sein sollte.“ Molly schauderte. „Wenn ich allein mit einem Baby dasitze, gehen sämtliche Aussichten auf eine Zukunft den Bach hinunter. Dann werde ich den Rest meines Lebens ums Überleben kämpfen müssen.“
„Hoffen wir auf das Beste“, riet Jez tonlos. „Weißt du, ich habe eigentlich immer gedacht, dass du und ich … nun, dass wir irgendwann zusammenkommen.“
Molly sah unglücklich zu ihm hin. Ihr wäre niemals in den Sinn gekommen, Jez würde etwas anderes in ihr sehen als eine Art Wahlschwester. „Aber wir sind doch Freunde …“
„Sicher.“ Wie um sich zu verteidigen, zuckte er mit einer Schulter. „Warum sollte Freundschaft nicht zu mehr führen? Wir verstehen uns gut, und wir kennen einander schon so lange. Es würde keine bösen Überraschungen geben. Es wäre doch die logische Schlussfolgerung …“
„Jez, nicht.“ Es war ihr unangenehm. In diesem Licht hatte sie Jez nie gesehen. „Du machst mir nur klar, dass es wohl ein Anfall von geistiger Umnachtung gewesen sein muss, dass ich mich mit Leandro eingelassen habe.“
„Du musst dir deswegen jetzt nicht Vorwürfe machen“, meinte der große blonde Mann pragmatisch. „Das ändert ja nichts.“
An diesem Wochenende stellte Molly ihre Töpfersachen auf einer Kunstmesse aus. Dass sich einige ihrer Stücke verkauften, hellte ihre Laune auf. Doch in der Woche darauf setzte ihre Stimmung zu einem stetigen Sinkflug an. Ihre Periode blieb aus und wollte ihr einfach nicht die Sicherheit bringen, die sie erwartete. Sie arbeitete lange, doch ihr fehlten Lebendigkeit und Energie. Die Müdigkeit setzte zeitgleich mit der Übelkeit ein. Die Ringe unter ihren Augen wurden immer dunkler, denn nachts lag sie wach und haderte mit ihrem Schicksal. Sie wollte sich einen Schwangerschaftstest besorgen, doch Jez riet ihr, sich von einem Arzt untersuchen zu lassen, um ein zuverlässigeres Ergebnis zu erhalten.
Der Arzt war sehr sorgfältig und versicherte Molly, dass sie ihr erstes Kind erwartete. Molly meinte sich ausreichend vorbereitet zu haben, doch als sie die Bestätigung ihrer schlimmsten Ängste erhielt, war sie am Boden zerstört. Jez rief sie von seiner Werkstatt aus an, um sich nach dem Ergebnis zu erkundigen, und sie teilte es ihm mit tonloser Stimme mit, während sie sich im Spiegel auf dem Gang betrachtete und sich selbst schon mit einem dicken Bauch sah.
Ein Baby, ein lebendiges kleines Wesen würde sich in weniger als neun Monaten auf sie verlassen. Ein Abbruch kam für Molly nicht infrage. Ihre Mutter hatte ihr unter ähnlich ungünstigen Umständen die Chance auf Leben gewährt. Cathy hatte ihr Bestes gegeben, auch wenn ihr Bestes nicht unbedingt großartig gewesen war. Wie hätte sie, Molly, da weniger für ihr Kind tun sollen?
Sie kramte Leandros Visitenkarte hervor und entschied, ihm eine SMS zu schicken. Im Moment brachte sie es nicht über sich, mit ihm zu reden, wenn sie beim letzten Mal so unfreundlich auseinandergegangen waren.
Ich muss dich DRINGEND sehen.
Im Konferenzsaal der Carrera-Bank, mitten in einer
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