Stolz und Verlangen
besorgtem Blick auf sie herab. Ein grauhaariger Mann maß ihren Puls. Leandro stellte den Mann als Edmundo Mendoza vor, den Arzt der Familie.
„Sie sollten sich mehr Ruhe gönnen, Hoheit“, rügte der Doktor leise.
„Mir ist nur schwindlig geworden. Da drinnen war es so heiß und stickig.“
„Sie brauchen Zeit, um sich an das Klima zu gewöhnen. Zudem werden die Temperaturen in den nächsten Wochen immer weiter ansteigen“, warnte Dr. Mendoza. „Stellen Sie sich vor, dieser Schwindelanfall wäre auf der Treppe passiert …“ Der gute Doktor war wohl ein Mann, der sich gern die schlimmsten Szenarien ausdachte.
„Du solltest dich ausruhen“, kam es von Leandro. „Unsere Gäste werden Verständnis dafür haben.“
„Ich bin nicht krank.“ Wusste etwa bereits jeder von ihrer Schwangerschaft? Die Vorstellung gefiel ihr ganz und gar nicht.
Leandro duldete keinen Widerspruch und hob sie auf seine Arme. „Worüber hast du mit Santos geredet? Erst dachte ich, er hätte etwas gesagt, das dich aufgeregt hat, weil du dich von ihm abwandtest. Nur gut, dass ich sowieso zu dir kommen wollte und rechtzeitig da war, um dich aufzufangen.“
Überrascht, dass er sie offensichtlich die ganze Zeit im Auge behalten hatte, erklärte Molly ihm die Sache mit dem Gebäude für ihren Brennofen.
„Warum bist du damit nicht zu mir gekommen?“
„Ich wollte dich nicht unnötig belästigen, und außerdem … ich kann mich doch selbst um meine Dinge kümmern“, meinte sie kleinlaut.
„Möglich, dass ich nicht genau weiß, wovon ich hier rede, aber … es scheint mir nicht unbedingt klug zu sein, mit Ton und schweren Töpferstücken zu hantieren, wenn du schwanger bist …“
„Sei nicht albern!“, fauchte Molly sofort. „Töpfern ist doch keine schwere Arbeit.“
„Ich bin kein Künstler, aber ich bin auch nicht dumm.“ Er presste die Lippen zusammen. „Die Stücke in den Ofen zu wuchten und wieder herauszuholen ist körperlich anstrengend. Wenn du dich einverstanden erklärst, die schweren Arbeiten von einem der Landarbeiter übernehmen zu lassen, habe ich nichts dagegen.“
„Na schön“, stimmte sie nur unwillig zu, als er sie in ihrem Schlafzimmer auf das Bett legte und ihr die Schuhe auszog. „Aber ich brauche meinen eigenen Platz, wo ich arbeiten kann. Stört es deine Familie, dass ich Töpferin bin?“
In der Tür drehte Leandro sich um. „Das geht sie nichts an.“
Mollys Anspannung ließ ein wenig nach bei seiner Versicherung. „Deine Mutter und deine ältere Schwester mögen mich nicht.“
„Gib ihnen Zeit, um dich kennenzulernen“, riet er. „Du hast nicht viel Erfahrung, wie es in Familien zugeht, oder?“
Sie versteifte sich. „Die ersten neun Jahre habe ich in einer Familie gelebt, bevor meine Mutter starb und meine Großmutter mich weggab. Meine Mutter, meine ältere Schwester und ich … Eigentlich hat meine Schwester die Mutterrolle übernommen, sie war es, die sich immer um mich gekümmert hat.“
„Ich hatte vergessen, dass du ja noch eine Schwester hast. Wo ist sie jetzt?“
„Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, die Tür zu diesem Kapitel in meinem Leben habe ich bewusst zugezogen, und ich bin mir auch nicht sicher, ob ich sie wieder öffnen möchte“, gab sie zu. Sie musste an den Kummer und den Schmerz denken, die sie jahrelang gequält hatten, weil sie so einfach aufgegeben worden war.
„Ich rufe die Zofe. Sie wird dir beim Zubettgehen helfen“, murmelte Leandro.
„Du schläfst heute Nacht hier“, erinnerte sie ihn und lief prompt dunkelrot an über die eigene Courage.
Mit halb geschlossenen Lidern musterte er sie unter dichten Wimpern hervor. Ihr Verlangen nach ihm erregte ihn. Doch er würde Verantwortungsbewusstsein zeigen und erst mit dem Doktor reden. Es war ihm wichtig, sich jetzt um sie zu kümmern. Und es ärgerte ihn, dass sie mit ihrem Anliegen zu Fernando Santos gegangen war und nicht ihn um Hilfe gebeten hatte.
Molly schlief schon eine Weile, als Leandro ins Zimmer kam. „Schon in Ordnung, ich bin wach“, sagte sie leise, als sie merkte, wie vorsichtig er sich im Zimmer bewegte, um sie nicht aufzuwecken.
Leandro betrachtete sie im sanften Licht der Nachttischlampe. Ihre schwarzen Locken fielen ihr über die Schultern, umrahmten ihr herzförmiges Gesicht und brachten ihre grünen Augen zum Strahlen. Das Verlangen, das den ganzen Abend unterdrückt in ihm gelauert hatte, flammte auf. Dieser Hunger nach ihr schlummerte immer in ihm, zu jeder Zeit, bei
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