Stolz und Verlangen
Begeisterung, dachte sie eher freudlos. Was den Sex anging, so hatte sie alles, was sie sich wünschen konnte. Nein, da hatte sie nicht den geringsten Grund zur Beschwerde. Leandro schlief jede Nacht mit ihr und war ein sehr aufmerksamer Liebhaber. Doch irgendwie, vor allem, wenn sie allein aufwachte oder wenn sie einsame Abende verbrachte, weil er bis spät in die Nacht arbeitete oder mal wieder geschäftlich unterwegs war, ließ gerade diese phänomenale Leidenschaft, die sie miteinander teilten, immer deutlicher werden, was sie nicht miteinander teilten. Molly hatte Schränke voll mit Designerkleidern und eine absolut fantastische Schmucksammlung. Wenn Leandro sich denn daran erinnerte, dass sie auch noch existierte, brachte er ihr himmlische Geschenke mit, wie zum Beispiel die Armbanduhr aus Platin, die sie am Handgelenk trug, oder die vielen teuren Parfüms, aus denen sie nun wählen konnte.
Während Leandro nur selten ihre Gedanken verließ, erinnerte er sich eher selten daran, dass er eine Ehefrau hatte, davon war sie überzeugt. Es käme ihm nie in den Sinn, sie von einer Geschäftsreise anzurufen. Ebenso wenig hielt er es für nötig, ihr seine Gedanken mitzuteilen. Und erst recht nicht beantwortete er ihre Fragen nach Aloise. Um genau zu sein, ihre Neugier auf seine erste Frau hatte er als „ungesund“ abgestempelt und somit sichergestellt, dass sie das Thema tunlichst vermied.
„Also, ich finde, du solltest Leandro den Laufpass geben und wieder nach Hause zurückkommen“, hatte Jez ihr geraten, als sie gestern Abend mit ihm telefoniert hatte. „Du bist gelangweilt, einsam und in einem fremden Land. So, wie sich das anhört, siehst du deinen Herzog sowieso so selten, dass du genauso gut wieder nach London kommen kannst. Er kann dich ja hier besuchen, wenn er auf Geschäftsreise ist. Zumindest könntest du dann wenigstens dein Leben hier wieder aufnehmen.“
„Ich habe noch nie aufgegeben. Ich will keine Scheidung, mein Kind soll nicht in einer zerrissenen Familie aufwachsen“, war ihre vehemente Antwort gewesen. „Eine Ehe ist etwas Dauerhaftes.“
„Aber du sitzt am kürzeren Hebel. Du scheinst doch alle Opfer bringen zu müssen und er gar keine.“
Und hatte Jez nicht recht damit? Die Ehe schien Leandro nicht weiter zu beeindrucken. Er hatte weder seinen Terminkalender noch sein Verhalten ihr gegenüber geändert. Leandro war stark, arrogant und distanziert. Seine Stärke liebte sie, aber sie hasste es, so in der Luft zu hängen. Er schloss sie aus, und sie wollte doch so unbedingt, dass er sie an sich heranließ, und das nicht nur im Schlafzimmer. Außer Julieta hatte sie niemanden, mit dem sie reden konnte, aber Julieta war die ganze Woche über in Sevilla, wo sie Modedesign studierte. Und obwohl ihre Spanischkenntnisse durch den zweimal wöchentlich stattfindenden Unterricht stetig besser wurden, war es immer noch eine Herausforderung für sie, ein etwas anspruchsvolleres Gespräch zu führen. Immerhin konnte sie sich jetzt dem Personal im Schloss verständlich machen. In den ersten Monaten, als sie nicht einmal die einfachsten Anweisungen hatte geben können, war sie sich extrem nutzlos und isoliert vorgekommen.
Außerdem hatte ihre Schwiegermutter sich, anstatt nach Sevilla zurückzukehren, wie angekündigt, scheinbar fest im Haushalt etabliert. Doña Maria zeigte Molly die kalte Schulter und machte bei jeder sich bietenden Gelegenheit kleine beißende Kommentare, unter dem fadenscheinigen Schutzmantel höflicher Konversation. Das war einer der Hauptgründe, weshalb Molly den größten Teil des Tages in ihrem Studio verbrachte – übrigens ein Ort, den Leandro sich noch ansehen musste. Er hatte versprochen, vorbeizukommen, aber bisher hatte er noch nicht die Zeit dafür gefunden. So wie er auch nicht die Zeit gefunden hatte, das Kinderzimmer mit einzurichten.
Das Klopfen an der Tür riss Molly aus ihren Gedanken. Julieta trat ein, sehr attraktiv in weißen Shorts und eng anliegendem Top, und lächelte Molly zu.
„Morgen ist mein Geburtstag“, erinnerte sie sie. „Kommst du mit in die Stadt zum Feiern? Wir wollen ein bisschen durch die Clubs ziehen, ein paar Freunde von mir und ich. Du kannst auch bei mir übernachten.“
Molly lag es auf der Zunge, abzulehnen. Sie wusste, Leandro würde es nicht gutheißen. Andererseits … wann führte er sie schon mal aus? Sie war mit einem Workaholic verheiratet, der seine kostbare Zeit nicht damit verschwendete, seine Ehefrau zu unterhalten.
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