Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
und immer wieder von ihm reden zu hören. Mutter meint es ja vielleicht ganz gut, doch sie weiß nicht, niemand kann wissen, wie sehr mich alles schmerzt, was sie sagt. Froh werde ich bestimmt erst wieder sein, wenn sein Aufenthalt auf Netherfield zu Ende ist!«
»Ich wünschte, ich könnte dir etwas sagen, was dich tröstet«, erwiderte Elisabeth. »Aber ich habe nicht einmal das Vergnügen, dich zur Geduld mahnen zu können, denn davon hast du schon ohnehin mehr, als ich je haben werde.«
Nun war also Mr. Bingley wieder auf Netherfield!
Mrs. Bennet hatte es mit Hilfe des Dienstbotennachrichtendienstes erreicht, eher davon Kenntnis zu erhalten als irgend jemand sonst. Wahrscheinlich wollte sie sich keinen Augenblick das Vergnügen entgehen lassen, sich zu sorgen und zu ärgern. Sie zählte jede Stunde, die verstreichen mußte, bevor sie schicklicherweise die Einladung nach Netherfield überbringen lassen konnte; aussichtslos und ausgeschlossen war es, ihn vorher zu Gesicht zu bekommen! Aber am dritten Morgen nach seiner Ankunft blickte sie zufällig aus dem Fenster und sah ihn auf das Haus zureiten.
Sie rief eifrig nach ihren Kindern, um sie an ihrer freudigen Überraschung teilnehmen zu lassen. Jane blieb ruhig am Tisch sitzen, Elisabeth ging indes ihrer Mutter zuliebe zum Fenster, sah hinaus, sah Darcy neben Bingley und setzte sich wieder zu ihrer Schwester.
»Da ist ja noch ein Herr dabei«, sagte Kitty. »Wer mag das sein?«
»Irgendein Freund wahrscheinlich; ich habe keine Ahnung, wer es ist.«
»Nanu!« rief Kitty jetzt, »er sieht doch ganz so aus wie der Mensch, der immer mit ihm zusammen war, Mr. — wie hieß er doch gleich? — dieser große, hochmütige Kerl!«
»Mein Gott! Mr. Darcy! Du hast tatsächlich recht. Nun, jeder Freund von Mr. Bingley soll mir willkommen sein; aber sonst muß ich ja sagen, daß ich Darcys bloßen Anblick verabscheue!«
Jane und Elisabeth war gleich wenig wohl zumute; jede versetzte sich in die Lage der anderen und fühlte sich nebenbei auch noch in ihrer eigenen Haut ungemütlich genug. Und ihre Mutter fuhr fort zu erklären,’ wie wenig sie Darcy mochte und wie freundlich sie trotzdem zu ihm sein wolle, da er Bingleys Freund sei.
Elisabeth hatte ja noch einen besonderen Grund für ihr Unbehagen, den Jane nicht ahnen konnte; denn sie hatte bisher nicht den Mut gefunden, ihrer Schwester den Brief von Mrs. Gardiner zu zeigen oder ihr von dem Wandel ihrer Gefühle für Darcy zu erzählen. Für Jane konnte er höchstens derjenige Mann sein, den sie abgewiesen und den sie nicht richtig eingeschätzt hatte; aber für sie selbst war er der Mann, dem sich ihre ganze Familie zu größtem Dank verpflichtet fühlen mußte und dem sie überdies eine Neigung entgegenbrachte, die vielleicht nicht ganz so innig und zärtlich, aber dafür nicht minder tief war wie die, welche Jane für Bingley empfand. Ihre Überraschung darüber, daß er nach Netherfield und nun gar nach Longbourn gekommen war, daß er sie von sich aus freiwillig wieder aufsuchte, stand in nichts der Überraschung nach, die sie unlängst in Derbyshire erlebt hatte.
Die Farbe, die jäh aus ihrem Gesicht gewichen war, kehrte verstärkt wieder, und eine herzliche Freude sprach für einen kurzen Augenblick aus ihren Augen, als sie daran dachte, wie sehr sein Kommen jetzt dafür sprach, daß er in seiner Neigung zu ihr nicht schwankend geworden sein konnte. Aber sie erlaubte sich nicht, dessen allzu sicher zu sein.
»Ehe ich mich falschen Hoffnungen hingebe, will ich erst sehen, wie er sich benimmt«, dachte sie und beugte sich wieder über ihre Handarbeit. Sie wagte nicht, die Augen zu heben; als das Mädchen indes die Besucher anmeldete, trieben Neugierde und Besorgnis sie doch, einen Blick auf ihre Schwester zu werfen. Jane sah zwar blasser als sonst aus, schien aber sehr viel ruhiger zu sein, als Elisabeth es für möglich gehalten hatte. Als die Herren eintraten, röteten sich ihre Wangen; sie begrüßte die Gäste jedoch mit bemerkenswerter Gefaßtheit.
Elisabeth sagte gerade nur so viel, wie das Gebot der Höflichkeit es verlangte, und vertiefte sich sogleich wieder in ihre Arbeit mit einem Eifer, den sie sonst nicht häufig dafür aufzubringen pflegte. Obwohl sie Darcy nur flüchtig angesehen hatte, war es ihr aufgefallen, daß er eine ernstere und verschlossenere Miene zur Schau trug als in Pemberley und weit mehr jenem Darcy aus der ersten Zeit ihrer Bekanntschaft in Hertfordshire glich. Vielleicht fühlte
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