Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
mit Elisabeth zu berichten; sie habe sich bemüht, möglichst Wort für Wort Elisabeths Antworten wiederzugeben, da diese nach Ansicht seiner Tante besonders geeignet waren, um ihrem Neffen die empörende Eigenwilligkeit und Halsstarrigkeit dieser Person zu beweisen und um ihn das Versprechen abgeben zu lassen, das sie auf Longbourn vergeblich gefordert hatte. Aber Lady Catherine hatte kein Glück; ihr Bericht bewirkte genau das Gegenteil von dem, was sie damit bezweckt hatte.
»Ihre Worte ließen mich wieder hoffen«, sagte er, »wie ich nie zuvor zu hoffen gewagt hatte. Ich kannte dich doch gut genug, um zu wissen, daß du in deiner offenen, ehrlichen Art mit deiner Abneigung gegen mich nicht hinter dem Berg gehalten hättest, wenn du selbst von dieser Abneigung noch fest überzeugt gewesen wärest.«
Elisabeth errötete und lachte, als sie antwortete: »Ja, meine Offenheit hast du ja allerdings zur Genüge kennengelernt, um mir auch das zuzutrauen. Nachdem ich dir meine Meinung so ins Gesicht gesagt hatte, würde es mir natürlich auch nichts ausgemacht haben, dich vor deiner ganzen Verwandtschaft schlechtzumachen.«
»Nun, hatte ich es anders verdient? Deine Anschuldigungen beruhten ja auf falschen Voraussetzungen und Mißverständnissen, aber mein Betragen gegen dich war so unverzeihlich, daß noch viel schwerere Vorwürfe berechtigt gewesen wären.«
»Wir wollen uns doch jetzt nicht darum streiten, wer sich wegen jenes Abends mehr vorzuwerfen hat«, sagte Elisabeth. »Ganz einwandfrei haben wir uns wohl beide nicht benommen. Aber seitdem, hoffe ich, hat unsere Höflichkeit gegeneinander große Fortschritte gemacht.«
»So leicht kann ich mir selbst nicht verzeihen. Die Erinnerung an alles, was ich damals sagte und wie ich mich aufführte, hat bis zum heutigen Tage schwer auf mir gelastet. Ich werde nie deinen so berechtigten Verweis vergessen können: ›Hätten Sie sich etwas feinfühliger und taktvoller aufgeführt!‹ Das waren deine Worte. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie mich verfolgt haben.«
»Ich hatte bestimmt nicht erwartet, damit einen so starken Eindruck auf dich zu machen. Im Gegenteil, ich hatte auch nicht im entferntesten mit der Möglichkeit gerechnet, daß du dich davon getroffen fühlen könntest.«
»Ja, das glaube ich wohl. Ich weiß, daß du mir damals jede anständige Regung abgesprochen hast. Ich werde auch deinen Gesichtsausdruck nicht so leicht vergessen, als du sagtest, daß ich der letzte Mann sei, der dich überreden könnte, ihn zu heiraten.«
»Ach, wiederhole nicht, was ich gesagt habe. Diese Erinnerungen sind heute ganz fehl am Platze. Ich schwöre dir, daß ich mich schon lange für jedes Wort von damals schäme.«
Darcy kam dann auf seinen Brief zu sprechen.
»Hat er dich schon bald besser über mich denken lassen? Hast du meinen Mitteilungen ohne weiteres geglaubt?«
Sie versuchte ihm zu erklären, was sie beim Lesen des Briefes empfunden hatte und wie seitdem ihre früheren Vorurteile allmählich verschwunden seien.
»Ich wußte«, meinte er, »daß mein Brief dich betrüben werde; aber es mußte ja sein. Hoffentlich hast du ihn zerrissen. Er enthielt einige Stellen, vor allem am Anfang, die du unter keinen Umständen je wieder lesen darfst. Ich kann mich an mehr als einen Ausdruck erinnern, der dich wirklich berechtigte, mich zu hassen.«
»Der Brief soll bestimmt heute noch verbrannt werden, wenn du meinst, daß das zur Erhaltung meiner Liebe notwendig ist.«
»Als ich ihn schrieb, da glaubte ich, völlig gefaßt und ruhig zu sein, aber mir ist inzwischen aufgegangen, daß ich ihn tatsächlich in großer Erbitterung geschrieben haben muß.«
»Er fing ganz bestimmt sehr bitter an, aber er endigte nicht so; der Schluß klang eigentlich sehr lieb und nett. Aber denk’ doch nicht mehr an den Brief. Die Gefühle der Person, die ihn schrieb, und der Person, die ihn empfing, haben sich ja seitdem so gründlich geändert, daß er am besten mitsamt allen anderen unangenehmen Erinnerungen vergessen wird. Du mußt noch ein wenig von meiner Lebensphilosophie lernen: erinnere dich nur an das, was dir noch in der Erinnerung Freude macht.«
»Ich kann dir aber eine solche Philosophie nicht als besonderes Verdienst anrechnen; du hast dir ja rückwirkend nichts vorzuwerfen. Mit mir ist das etwas anderes. Ich habe bisher mein Leben lang nur immer an mich gedacht. Als Kind lernte ich zwar, was recht war, aber ich lernte nicht, meine Launen zu beherrschen. Meine
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