Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
dieser Herr! Gib zu, daß ich dich überrascht habe. Hätte mein Vetter oder auch die Lucas-Familie auf irgend jemand anderen aus unsrer ganzen Bekanntschaft verfallen können, der ihre Worte schneller und nachdrücklicher Lügen strafen könnte? Ausgerechnet Mr. Darcy, der eine Frau nur ansieht, um etwas an ihr auszusetzen, und der wahrscheinlich überhaupt nicht weiß, wie du eigentlich ausschaust! Das ist wirklich großartig!«
Elisabeth versuchte, sich mit ihrem Vater über den Scherz zu freuen, aber sie brachte nur ein sehr gezwungenes Lächeln zuwege. Noch nie war ihr sein Sinn für Humor so unpassend vorgekommen wie jetzt.
»Findest du das nicht komisch?«
»O doch, aber lies nur weiter.«
›Nachdem ich gestern die Möglichkeit einer solchen Verbindung Lady Catherine gegenüber erwähnte, gab sie unverzüglich in ihrer üblichen leutseligen Art ihrer Ansicht darüber Ausdruck; und da kam denn zutage, daß sie auf Grund von Einwänden gegen die Familie meiner Cousine sich niemals bereit erklären würde, ihre Einwilligung zu diesem — wie sie sagte unwürdigen Schritt ihres Neffen zu geben. Ich hielt es für meine Pflicht, meine Cousine hiervon auf dem schnellsten Wege in Kenntnis zu setzen, damit sie und ihr vornehmer Freier sich keinerlei falschen Hoffnungen hingeben und nicht übereilt eine Ehe schließen, die nicht den Segen meiner hohen Gönnerin erhalten hat.
Was meine Cousine Lydia anbetrifft, so bin ich höchlich erfreut, daß die traurige Angelegenheit so erfolgreich vertuscht werden konnte, bin aber immer noch in Sorge, es könne irgendwie in weiteren Kreisen bekannt werden, daß sie bereits vor der Ehe zusammengelebt haben. Im Hinblick auf mein geistliches Amt sehe ich mich daher leider gezwungen, meinem Befremden darüber Ausdruck zu geben, daß Sie das junge Paar sofort nach der Eheschließung in Ihrem Hause empfingen. Das, lieber Vetter, heißt dem Laster Vorschub leisten! Und wäre ich der Seelsorger Ihrer Gemeinde gewesen, ich hätte auf das schärfste Verwahrung dagegen eingelegt. Gewiß, als guter Christ mußten Sie ihnen vergeben, aber Sie durften es niemals zulassen, daß die beiden Ihnen jemals wieder vor die Augen kamen oder daß auch nur ihr Name in Ihrer Gegenwart genannt wurde.‹
»Das versteht so ein Geistlicher unter christlicher Nächstenliebe! — Der Rest des Briefes handelt nur noch von dem Befinden seiner lieben Charlotte und von seiner Hoffnung, bald einen jungen Ölzweig im Hause zu haben. — Aber was ist, Lizzy? du siehst aus, als ob das alles dir gar keinen Spaß mache. Du wirst mir doch nicht so sauertöpfisch sein wie eine alte Jungfer und dich über dieses müßige Geschwätz ärgern? Was hätten wir denn sonst vom Leben, wenn wir uns nicht über die anderen lustig machen könnten?«
»Wieso?« rief Elisabeth, »ich bin sogar sehr belustigt; aber merkwürdig ist das doch alles.«
»Nun eben, gerade das macht es ja so komisch. Hätten sie sich irgendeinen anderen ausgesucht, hätte ich es dir überhaupt gar nicht erst lange erzählt. Aber Darcys vollständige Gleichgültigkeit und deine ausgesprochene Abneigung gegen ihn machen das Ganze ja so herrlich sinnlos! So sehr ich Briefschreiben verabscheue, die Verbindung mit Mr. Collins würde ich um alles in der Welt nicht mehr missen wollen. Wahrhaftig, nachdem ich diesen Brief von ihm gelesen habe, muß ich ihn sogar über Wickham stellen, so sehr ich auch sonst über die unverschämte Scheinheiligkeit meines Schwiegersohnes erbost bin. — Und nun sag, Lizzy, was meinte Lady Catherine zu diesem Gerücht? Kam sie tatsächlich nur hierher, um dich ihrer Ungnade zu versichern?«
Diese Frage beantwortete seine Tochter nur mit einem Lachen. Elisabeth hatte sich noch nie so sehr zusammennehmen müssen, um sich nichts von ihren Gefühlen anmerken zu lassen: sie mußte lachen, während ihr doch das Weinen näher war. Ihr Vater hatte ihr mit seiner Behauptung von Darcys Gleichgültigkeit sehr weh getan; und sie mußte sich über seinen Mangel an Scharfblick wundern — oder hatte sie etwa zu fürchten, daß nicht er zu wenig gesehen, wohl aber sie sich zu viel eingebildet hatte?
58. KAPITEL
A n Stelle des Briefes, den Elisabeth halb und halb erwartet hatte, brachte Bingley wenige Tage nach Lady Catherines Besuch seinen Freund selbst wieder mit zurück. Sie kamen bald nach dem Frühstück, und Bingley, der mit Jane allein sein wollte, schlug sogleich einen Spaziergang vor, ehe noch Mrs. Bennet Darcy von dem Besuch seiner
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