Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Eltern, vor allem mein Vater, verwöhnten mich zu sehr und brachten mir bei — sicherlich ohne es selbst zu wollen, denn sie waren die Güte selbst —, auf alle Menschen außer auf meine nächsten Verwandten herabzusehen. So bin ich von meinem achten Lebensjahr an gewesen — und wäre es heute noch — ohne dich, meine liebste, beste Elisabeth. Wieviel verdanke ich nicht dir! Was habe ich nicht alles von dir gelernt! Ich kam zu dir, ohne einen Augenblick daran zu zweifeln, daß du mich erhören würdest — und wie hast du dann meine Anmaßung gedemütigt! Du hast mir erst beigebracht, wie wenig berechtigten Anspruch ich tatsächlich darauf erheben konnte, einer Frau zu gefallen, an deren Gefallen mir etwas gelegen war.«
»Du warst also überzeugt, daß du mir gefallen würdest?«
»Allerdings. Was sagst du zu einer solchen Frechheit? Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß du dich danach sehntest, von mir beachtet zu werden.«
»Wenn ich diesen Eindruck erweckt habe, so lag es gewiß nicht in meiner Absicht, das kannst du mir glauben! Ich habe es bestimmt nicht darauf angelegt, daß du dir irgendwelche Hoffnungen machtest, aber du hast dich wohl durch meine unbekümmerte Art täuschen lassen. Wie mußt du mich an jenem Abend in Hunsford gehaßt haben!«
»Dich gehaßt? Wütend war ich schon, das ist richtig, aber vor allem auf mich selbst.«
»Ich fürchte mich beinahe, dich zu fragen, was du dachtest, als du mich plötzlich in Pemberley wiedersahst. Ärgertest du dich über mein Kommen?«
»O nein, ich war nur sehr erstaunt.«
»Aber sicherlich nicht so überrascht wie ich, als du auf mich zukamst und mich ansprachst. Auf so viel Liebenswürdigkeit war ich tatsächlich nicht gefaßt, und ich muß dir gestehen, ich hätte mich nicht gewundert, wenn du vorbeigegangen wärst, ohne mich zu beachten.«
»Damals«, erwiderte Darcy, »hatte ich zunächst nichts anderes im Sinn, als dir zu beweisen, daß ich nicht so kleinlich war, dir etwas nachzutragen; und ich hoffte nur, deine Verzeihung zu erlangen und deine schlechte Meinung von mir zu widerlegen, indem ich dich merken ließ, daß ich mir deine Vorwürfe zu Herzen genommen hatte.«
Er erzählte ihr nun, wie sehr Georgiana sich über ihre Bekanntschaft gefreut hatte und wie betrübt sie über Elisabeths plötzliche Abreise gewesen war. Darauf kamen sie natürlich auf die Ursache dieser plötzlichen Abreise zu sprechen, und Elisabeth erfuhr jetzt, daß Darcys Entschluß, sich an der Suche nach Lydia zu beteiligen, schon gefaßt war, bevor er sich noch im Gasthaus in Lambton von ihr verabschiedet hatte, und daß auch sein Ernst und seine Nachdenklichkeit damals sich ausschließlich dadurch erklärten, daß er sich bereits überlegte, wie er dabei am besten vorginge.
So hatten sie bereits eine weite Strecke zurückgelegt, als sie mit einem Male feststellen mußten, daß es höchste Zeit war, umzukehren.
»Wo sind bloß Bingley und Jane geblieben?«
Elisabeths erstaunter Ausruf lenkte ihre Gedanken auf ein anderes Thema. Darcy war über die Verlobung seines Freundes, der sie ihm noch an demselben Abend nach London mitgeteilt hatte, aufrichtig erfreut.
»Hat es dich nicht doch überrascht?«
»Gar nicht. Als ich wegfuhr, ahnte ich schon, daß es dazu kommen werde.«
»Das soll wohl heißen, du hattest ihm die Erlaubnis dazu erteilt? Dachte ich mir’s doch!«
Er wehrte sich zwar heftig gegen diese Behauptung, aber gerade daran merkte sie, wie nahe sie der Wahrheit gekommen war.
»Am Abend, bevor ich nach London fuhr«, sagte er, »machte ich ihm ein Geständnis, das ich wohl schon viel früher hätte ablegen müssen. Ich erzählte ihm alles, was sich inzwischen ereignet hatte und warum ich meine Einmischung in seine Angelegenheiten jetzt als voreilig und unbedacht ansehen mußte. Er war sehr überrascht. Er war tatsächlich völlig ahnungslos gewesen. Schließlich sagte ich ihm noch, daß ich mich in der Annahme, Jane sei ihm gegenüber gleichgültig geblieben, geirrt hatte, und da es keines großen Scharfblickes bedurfte, um zu erkennen, daß seine Neigung noch die gleiche war, glaubte ich an ihrem Glück nicht länger zweifeln zu müssen.«
Elisabeth mußte darüber lächeln, mit welcher Selbstverständlichkeit er das Geschick seines Freundes leitete.
»Warst du selbst zu der Überzeugung gekommen, daß meine Schwester ihn liebte, oder urteiltest du nur nach dem, was ich dir vergangenes Frühjahr mitgeteilt hatte?«
»Nein, ich hatte sie genau
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