Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
beobachtet, als ich letzthin bei euch in Longbourn war, und war überzeugt, daß sie ihn wirklich liebt.«
»Und es bedurfte wohl nur deiner Versicherung, um auch ihn davon zu überzeugen?«
»Natürlich. Er ist seiner selbst zu wenig sicher, um sich einer so lebenswichtigen Frage gegenüber nur auf sein eigenes Urteil zu verlassen, und sein blindes Vertrauen in mich erleichterte mir meine Aufgabe sehr. Allerdings mußte ich etwas gestehen, was ihn zunächst — und nicht zu Unrecht — kränkte: ich durfte ihm nun nicht länger verschweigen, daß deine Schwester im letzten Winter drei Monate in London gewesen war und daß ich davon gewußt, es ihm aber verheimlicht hatte. Er war richtig empört, aber sein Zorn verflog ebenso rasch wie seine Zweifel an Janes Liebe zu ihm. Er trägt es mir heute bestimmt nicht mehr nach.«
Elisabeth hätte gar zu gern bemerkt, daß Bingley sich geradezu als das Muster eines Freundes erwiesen habe; der Wert eines so gutmütigen und fügsamen Menschen sei allerdings unschätzbar. Aber sie sprach ihre Gedanken nicht aus. Es fiel ihr noch rechtzeitig ein, daß er es erst noch lernen müsse, eine Neckerei so aufzunehmen, wie sie gemeint war, und es schien ihr noch etwas früh, schon jetzt mit dem Unterricht anzufangen.
59. KAPITEL
» M eine liebe Lizzy, wo seid ihr bloß gewesen?«
Mit dieser Frage wurde Elisabeth von Jane und den anderen begrüßt, als sie ins Eßzimmer trat, wo ihre Familie sich gerade zu Tisch setzen wollte. Sie antwortete nur, daß sie so lange kreuz und quer gelaufen seien, bis sie nicht mehr wußten, wo sie waren und wie spät es sei. Das Blut stieg ihr bei diesen Worten ins Gesicht, aber weder ihr Erröten, noch ihre unsichere Stimme erweckten den Verdacht ihrer Angehörigen.
Der Abend verging ruhig, ohne sich durch irgend etwas Besonderes auszuzeichnen. Das erklärte Liebespaar lachte und plauderte; das heimliche Paar schwieg sich aus. Darcy gehörte nicht zu den Menschen, die ihr Glück durch größere Lebhaftigkeit zum Ausdruck bringen, und Elisabeth war viel zu aufgeregt und verwirrt, um sich wirklich glücklich zu fühlen — sie wußte nur, daß sie glücklich war; denn abgesehen von ihrer augenblicklichen, ganz natürlichen Befangenheit mußte sie sich darauf gefaßt machen, daß ihr noch viel peinlichere Minuten bevorstanden. Sie ahnte schon, was ihre Familie denken und sagen werde, wenn sie die Tatsache erfuhr. Sie war sich darüber völlig im klaren, daß niemand außer Jane ihn leiden mochte, und sie fürchtete, daß die Abneigung der anderen sogar so weit gehen werde, daß nicht einmal seine gesellschaftliche Stellung und sein Vermögen ihn in ihren Augen liebenswerter erscheinen lassen würden.
Vor dem Schlafengehen schüttete sie Jane ihr Herz aus. Obwohl Jane in keiner Weise mißtrauisch veranlagt war, in diesem Fall weigerte sie sich einfach, zu glauben, was sie hörte.
»Du scherzest, Lizzy! Das ist doch wohl nicht möglich! Mit Darcy verlobt? Nein, nein, du kannst mich nicht foppen; ich weiß, daß es nicht stimmen kann!«
»Das nenne ich einen guten Anfang! Du bist die einzige, auf die ich mich verlassen habe; wenn du mir schon nicht glauben willst, dann wird mir bestimmt niemand Glauben schenken. Aber ich schwöre dir, ich scherze durchaus nicht; ich spreche die Wahrheit, die reine Wahrheit, und nichts als die Wahrheit: er liebt mich, er liebt mich noch immer, und wir sind verlobt.«
Jane sah sie immer noch zweifelnd an.
»Aber Lizzy, das ist doch nicht möglich. Ich weiß doch genau, wie wenig du ihn magst.«
»Nichts weißt du! Das mußt du alles vergessen. Es ist schon wahr, daß ich ihn nicht immer so geliebt habe wie jetzt; aber in solchen Fällen ist ein gutes Gedächtnis ein unverzeihliches Verbrechen. Ich werde mich bestimmt von nun an nie wieder daran erinnern!«
Jane sah unvermindert erstaunt aus. Elisabeth versicherte ihr wieder und wieder, daß sie die Wahrheit spreche.
»Mein Gott, sollte es wirklich stimmen? Dann muß ich dir wohl endlich glauben«, rief Jane aus. »Meine liebe Lizzy, ich würde dir ja — ich wünsche dir von Herzen alles Glück —, aber, verzeih die Frage, bist du überzeugt, daß du mit ihm glücklich werden wirst?«
»Das ist überhaupt keine Frage mehr — er und ich sind schon fest übereingekommen, daß wir das glücklichste Paar auf der Welt sind. Aber was sagst du dazu, Jane? Was sagst du zu deinem neuen Schwager?«
»Oh, ich werde ihn sehr gern haben. Ich freue mich wirklich für dich,
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