Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Hoffnungen voraussagen zu können, deren sie in ihrem letzten Brief Erwähnung getan hatte.
Sie berichtete weiter mit offenbarem Vergnügen, daß ihr Bruder fast ständiger Gast in Darcys Haus sei, und flocht bei der Gelegenheit eine entzückte Beschreibung der neuen Wohnungseinrichtung ein, die dieser sich gerade anfertigen ließ.
Elisabeth hörte es sich in schweigender Erbitterung an, als Jane ihr die wichtigsten Stellen des Briefes vorlas. Sie schwankte zwischen Mitleid für Jane und Haß gegen die Bingleys. Carolines Behauptung, ihr Bruder sei von Miss Darcy besonders eingenommen, schenkte sie keinen Glauben; daß er Jane wirklich von Herzen gern hatte, daran zweifelte sie auch jetzt nicht einen Augenblick; aber so sehr sie früher bereit gewesen war, nur das Beste von ihm zu halten, so wenig konnte sie jetzt ohne Zorn, ja sogar Verachtung an ihn denken, an ihn und seine Unbeständigkeit und seine Schwächlichkeit, die ihn jetzt zum Sklaven seiner hinterlistigen, falschen Freunde machten und ihn sein Glück ihren Einfällen und Wünschen opfern ließen. Wäre es nur die Frage seines eigenen Glückes gewesen, nun gut, damit sollte er spielen dürfen, soviel er wollte; aber das ihrer Schwester wurde ebenfalls davon betroffen, und das mußte er so gut wissen wie sie. Aber sie konnte noch so viel hin und her überlegen, einen Ausweg aus den Schwierigkeiten fand sie nicht. Ob Bingleys Gefühle tatsächlich so kurzlebig waren oder dem Eingreifen seiner Freunde weichen mußten, ob er sich Janes Zuneigung bewußt geworden war, oder ob er sie nicht beachtet hatte; welche von diesen Möglichkeiten auch zutreffen mochte, es würde zwar ihre Meinung über ihn beeinflussen, aber für ihre Schwester würde sich in dem einen wie in dem anderen Fall nichts ändern: ihr Frieden war zerstört.
Jane ließ nicht gern in ihr Inneres blicken; aber als Mrs. Bennet sie einmal nach einer ungewöhnlich ermüdenden Jeremiade über Netherfield mit Elisabeth allein ließ, konnte sie den Stoßseufzer nicht unterdrücken: »Wenn unsere liebe Mutter sich doch ein wenig mehr beherrschen könnte! Wenn sie nur wüßte, wie tief mich ihre ständigen Anspielungen schmerzen! Aber ich will nicht jammern. Es wird nicht lange dauern und er ist vergessen, und alles wird wieder sein wie zuvor!«
Elisabeth sah mit bekümmerter und nicht sehr überzeugter Miene zu ihrer Schwester hinüber, sagte jedoch nichts.
»Du glaubst mir nicht«, rief Jane errötend, »aber du kannst mir glauben, er wird in meiner Erinnerung als der liebste Mensch weiterleben, den ich je getroffen habe; das ist aber auch alles. Ich habe nichts mehr zu hoffen und nichts mehr zu fürchten und nichts ihm vorzuwerfen. Gott sei Dank bleibt mir dieser Schmerz erspart. Ein wenig Zeit nur — ich werde schon darüber hinwegkommen …«
Mit festerer Stimme fügte sie dann hinzu: »Den Trost habe ich schon jetzt, daß es weiter nichts als ein Irrtum meiner Einbildung gewesen ist und daß niemand darunter zu leiden gehabt hat außer mir selbst.«
»Meine liebe Jane«, rief Elisabeth, »du bist doch zu gut. Du bist wirklich ein Engel an Sanftmut; ich weiß gar nicht, was ich dir antworten soll. Du willst alle Welt vollkommen finden, und es kränkt dich, wenn man über irgend jemanden Schlechtes denkt. Ich möchte jetzt nur dich als vollkommen betrachten. Je mehr ich von der Welt zu sehen bekomme, um so unzufriedener werde ich mit ihr; jeder Tag bestätigt von neuem meine Überzeugung, daß die Menschen wankelmütig sind und daß man sich weder auf die Vernunft, noch auf die Verdienste anderer verlassen kann. Erst kürzlich habe ich dafür wieder zwei Beweise erhalten: über die eine Sache will ich nicht sprechen, die andere ist Charlottes Verlobung. Sie ist mir vollkommen unverständlich!«
»Liebe Lizzy, laß dich bitte nicht von solchen Ansichten beherrschen; du wirst dir damit jedes Glück zerstören. Du ziehst nicht genügend in Betracht, wie verschieden jeder Mensch ein und dieselbe Sache betrachten kann: Mr. Collins’ Ehrbarkeit wird an Charlottes ruhigem, klugem Wesen Gefallen finden, Charlottes Ausgeglichenheit an seiner Ehrbarkeit. Vergiß überdies nicht, daß sie eines von vielen Kindern ist, daß Mr. Collins, was die Vermögensfrage betrifft, keine schlechte Partie ist; und versuche wenigstens zu glauben, daß sie vielleicht doch so etwas wie Zuneigung und Achtung für ihn verspürt.«
»Um dir einen Gefallen zu tun, Jane, könnte ich beinahe alles glauben. Aber in diesem
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