Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
Falle hätte keiner von meinem Glauben etwas; denn wenn ich überzeugt wäre, daß Charlotte etwas für ihn fühlt, dann würde ich nur noch schlechter von ihrer Menschenkenntnis denken, als ich es jetzt von ihrem Herzen tue. Liebe Jane, Mr. Collins ist ein eingebildeter, aufgeblasener, engstirniger, höchst dummer Patron, und du weißt es so gut wie ich. Du müßtest ebenso wie ich der Ansicht sein, daß die Frau, die ihn heiratet, nicht ganz bei Trost sein kann. Du brauchst sie nicht zu verteidigen, wenn es auch unsere Freundin Charlotte ist. Du sollst nicht wegen eines einzelnen Menschen die Bedeutung von Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit bestreiten und nicht versuchen, dich oder mich zu überzeugen, daß Eigennutz Weisheit und Torheit eine Sicherheit für das Glücklichwerden ist.«
»Ich finde, du urteilst zu hart über beide«, erwiderte Jane, »und ich hoffe, du wirst dich umstimmen lassen, wenn du siehst, wie glücklich sie zusammen werden. Aber lassen wir das. Du sprachst von zwei Fällen: ich weiß, welchen anderen du meinst, aber ich bitte dich, Lizzy, tu mir nicht den Schmerz an zu glauben, daß er Schuld an allem trage, und sage nicht, er sei ebenfalls in deiner Achtung gesunken. Wir dürfen nicht voreilig den Schluß ziehen, er habe uns absichtlich kränken wollen. Man kann nicht von einem lebenslustigen jungen Menschen verlangen, er solle sich jeden Schritt vorher überlegen und stets darauf bedacht sein, keines Menschen Gefühle zu verletzen. Außerdem verleitet die Eitelkeit uns Frauen oft dazu, uns einzubilden, daß Bewunderung mehr bedeute, als sie es wirklich tut.«
»Ja, und die Männer haben nichts dagegen einzuwenden!«
»Wenn sie es tatsächlich darauf anlegen, dann ist das natürlich nicht zu entschuldigen. Aber ich kann nicht glauben, daß es so viel Falschheit in der Welt gibt, wie manche Leute anzunehmen scheinen!«
»Ich wollte gewiß nicht sagen, daß Mr. Bingley wissentlich unaufrichtig gehandelt hat«, sagte Elisabeth. »Aber es bedarf ja gar nicht einer bösen Absicht, um jemanden unglücklich zu machen; Gedankenlosigkeit, Rücksichtslosigkeit oder auch mangelnde Willensstärke, das genügt dazu schon.«
»Und du hältst eine von diesen Ursachen für gegeben?«
»Ja, die mangelnde Willensstärke. Aber wenn ich fortfahre, dann könnte ich mit meiner Ansicht über Menschen, die du gern hast, dir wehe tun.«
»Du hältst also an deiner Auffassung fest, daß seine Schwestern ihn zu beeinflussen suchen?«
»Ja, sie und sein Freund!«
»Das glaube ich einfach nicht. Warum sollten sie ihn so beeinflussen wollen? Sie können ja nur sein Glück wünschen, und wenn er mich gern hat, wird keine andere Frau dazwischenkommen können.«
»Was du sagst, stimmt nur zum Teil; sie können noch sehr viel anderes wünschen als nur sein Glück, die Vergrößerung seines Vermögens und seines Ansehens zum Beispiel. Vielleicht wünschen sie, er solle ein Mädchen heiraten, das ihm alle Vorteile von Reichtum, einflußreichen Beziehungen und gesellschaftlicher Stellung zu bieten vermag.«
»Zweifellos würden sie es gern sehen, daß er Miss Darcy heiratet«, antwortete Jane, »aber sie können bessere Gründe dafür haben, als du annimmst. Sie ist ihnen schon viel länger bekannt als ich; kein Wunder, wenn sie sie lieber haben. Aber was auch ihr Wunsch sein mag, es ist doch sehr unwahrscheinlich, daß sie sich dem Wunsche ihres Bruders widersetzt haben sollen. Welche Schwester würde sich dazu berufen fühlen, wenn nicht sehr starke Gründe dafür sprechen? Wenn sie glaubten, daß er mich mag, dann würden sie nicht versuchen, uns auseinanderzubringen; und wenn sie es versuchten, würde es ihnen nicht gelingen. Aber dadurch, daß du eine solche Zuneigung von seiner Seite als gewiß annimmst, wird die Handlungsweise aller unnatürlich und schlecht, und mich machst du sehr traurig. Laß mir die Beruhigung, daß ich mich geirrt habe, ich schäme mich deswegen nicht; mindestens bedrückt mich der Gedanke nicht so sehr, wie es mich bedrücken würde, wenn ich schlecht von ihm und seinen Schwestern denken müßte. Laß mir diese freundliche Erklärung seines Verhaltens, solange deine unfreundliche nicht erwiesen ist!«
Elisabeth konnte nicht anders, als einer so eindringlich vorgebrachten Bitte nachzugeben; und von da an fiel der Name Bingley nur mehr selten zwischen den beiden Schwestern.
Mrs. Bennet dagegen fuhr fort, sich über sein Wegbleiben zu wundern und zu beklagen, und wenn auch kaum ein Tag
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