Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
verging, an dem Elisabeth ihr nicht geduldig seine mutmaßlichen Gründe zu erklären versuchte, bestand doch wenig Hoffnung, daß ihr die Angelegenheit jemals weniger Kopfzerbrechen verursachen würde. Ihre Tochter bemühte sich, sie von dem zu überzeugen, was sie selber nicht wahrhaben wollte, daß nämlich seine Aufmerksamkeit Jane gegenüber nie etwas anderes als eine flüchtige Zuneigung gewesen sei, die natürlich aufhören mußte, sobald er sie nicht mehr vor Augen hatte. Das leuchtete zwar Mrs. Bennet jedesmal von neuem ein, mußte aber nichtsdestoweniger täglich mindestens einmal wiederholt werden. Mrs. Bennets ganzer Trost war immer noch der, daß Mr. Bingley ja spätestens im Sommer wieder zurückkehren müsse.
Mr. Bennet hatte seine eigene Meinung.
»Deine Schwester hat also Pech in der Liebe gehabt, Lizzy, wie ich höre. Ich beglückwünsche sie dazu. Außer der Ehe gibt es ja für ein Mädchen nichts Schöneres, als hin und wieder ein wenig unglücklich verliebt zu sein. Das gibt ihr etwas zu denken auf und verschafft ihr außerdem eine gewisse Sonderstellung unter ihren Freundinnen. Wann bist du an der Reihe, Lizzy? Sehr lange wirst du doch Jane den Vorsprung nicht gönnen. Gelegenheiten genug hast du jetzt; in Meryton gibt es genügend Offiziere, um sämtliche jungen Mädchen hierzulande zu enttäuschen. Ich rate dir zu Wickham; er ist ein netter Kerl, und ich sollte meinen, daß der Korb, den er dir geben wird, dich vollauf befriedigen müßte!«
»Vielen Dank, lieber Vater, aber ein weniger netter Mann würde es auch tun. Wir können nicht alle Janes Glück haben.«
»Stimmt«, erwiderte Mr. Bennet, »und außerdem haben wir ja die beruhigende Gewißheit, daß deine liebe Mutter der Sache die beste Seite abgewinnen wird, ganz gleich, welche Umstände mitgespielt haben mögen.«
Der Umgang mit Mr. Wickham trug nicht unwesentlich dazu bei, die gedrückte Stimmung wieder zu vertreiben, die sich Longbourns seit den letzten Geschehnissen bemächtigt hatte. Er war ein häufiger Gast, und zu seinen vielen anderen Vorzügen gesellte sich bald auch der seiner großen Offenherzigkeit. Die ganze Geschichte, die Elisabeth als erste gehört hatte, sein Verhältnis zu Darcy und was er ihm Böses zu verdanken hatte, alles wurde freimütig besprochen. Und jedermann war froh, daß er Darcy bereits nicht hatte leiden mögen, als man von diesen Dingen noch nichts wußte.
Jane war die einzige, die zu der Annahme neigte, es könne auch hier mildernde Umstände geben, die aus irgendeinem Grunde nicht zutagegetreten wären; ihr sanftes, nachsichtiges Wesen scheute sich davor, jemanden ohne sichere Beweise zu verdammen. Sie glaubte auch in diesem Fall an irgendwelche leidigen Mißverständnisse, aber alle anderen waren der festen Überzeugung, daß Darcy an Schlechtigkeit nicht seinesgleichen habe.
25. KAPITEL
N ach einer Woche voller Liebesschwüre und Pläne für eine goldene Zukunft rief die Pflicht Mr. Collins am Sonnabend aus der geduldigen Gesellschaft seiner Charlotte ab. Der Schmerz der Trennung wurde, wenigstens was ihn anbelangte, dadurch gemildert, daß er in der Folge die nötigen Vorbereitungen für den Empfang seiner Braut treffen konnte; denn er hatte allen Grund zu hoffen, daß bald nach seinem nächsten Besuch der Hochzeitstag festgelegt werden würde. Er verabschiedete sich von seinen Verwandten auf Longbourn mit der gleichen Feierlichkeit wie das erste Mal und stellte seinem Vetter erneut einen Dankesbrief in Aussicht.
Der nächste Montag brachte Mrs. Bennet die Freude, ihren Bruder und seine Frau auf Longbourn begrüßen zu dürfen; wie gewöhnlich kamen sie auch dieses Jahr aus London, um das Weihnachtsfest im Kreise ihrer Verwandten zu verleben. Mr. Gardiner war ein gescheiter, vornehmer Mensch und daher seiner Schwester an Geistesgaben und Bildung durchaus unähnlich. Die Netherfielder Damen hätten es gewiß schwierig gefunden, sich zu erklären, wie jemand, der wie er vom Handel lebte und seinen Wohnsitz in unmittelbarer Nachbarschaft seiner Geschäftshäuser hatte, ein so vornehmes und anziehendes Auftreten besitzen konnte. Mrs. Gardiner, die um einige Jahre jünger war als Mrs. Bennet und Mrs. Philips, war eine liebenswürdige, kluge und gewandte Dame und erfreute sich großer Beliebtheit bei ihren Longbourner Nichten. Besonders zwischen ihr und den beiden älteren bestand eine herzliche Freundschaft, und beide waren schon häufig bei ihr in London zu Gast gewesen.
Zuerst mußte Mrs.
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