Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
es ungern tat. Sie entschuldigte sich mit irgendeiner nichtssagenden Floskel, nicht früher gekommen zu sein, ließ nicht ein Wort darüber fallen, ob sie mich wiedersehen wollte, und war überhaupt so von Grund aus verändert, daß ich nach ihrem Weggang den festen Entschluß faßte, die Freundschaft mit ihr nicht weiter fortzusetzen. Schade, aber ich kann sie nicht von jeder Schuld freisprechen. Es war unrecht von ihr, mich zuerst so mit Aufmerksamkeiten zu überschütten und auszuzeichnen, denn ich kann ganz bestimmt versichern, daß die ersten Schritte zu unserer näheren Bekanntschaft von ihr gemacht wurden. Aber sie tut mir auch wieder leid, denn sie muß es selbst fühlen, daß sie nicht richtig gehandelt hat, und ich bin überzeugt, daß sie alles nur aus Sorge um ihren Bruder getan hat. Ich brauche ja nicht deutlicher über diesen Punkt zu schreiben. Wir wissen ja, daß ihre Besorgnis unbegründet ist, doch wenn sie sie nun einmal hat, dann erklärt das ja leicht ihr Betragen gegen mich. Und bei der Liebe, die sie mit Recht für ihren Bruder empfindet, kann man ihre Besorgnis eigentlich nur natürlich finden. Aber es wundert mich, daß sie immer noch so besorgt erscheint; denn wenn er mich wirklich gern hätte, wären wir schon lange, lange zusammengekommen. Er weiß ja nun, daß ich hier bin. Caroline erwähnte so etwas, aber trotzdem habe ich immer das Gefühl, daß sie versucht, sich einzureden, ihr Bruder habe eine Neigung für Miss Darcy. Ich verstehe das alles nicht. Scheute ich mich nicht davor, ungerecht zu erscheinen, so würde ich sagen, daß diese ganze Angelegenheit sehr stark nach Unaufrichtigkeit aussieht. Aber ich will versuchen, jeden schmerzlichen Gedanken von mir zu weisen und nur an das zu denken, was mich froh und glücklich macht, an deine Liebe und an die unveränderte Herzlichkeit meiner lieben Tante und meines Onkels. Schreib mir bald wieder einmal. Caroline sagte übrigens etwas davon, daß er nie wieder nach Netherfield zurückkehren werde und daß er das Haus aufgeben wolle, aber sie wußte nichts Gewisses darüber. Vielleicht ist es besser, noch nichts davon zu erwähnen. — Es freute mich sehr, so gute Nachrichten von unseren Freunden in Hunsford zu erhalten. Es wäre doch sehr nett, wenn du sie mit Sir William und Maria besuchtest. Deine dich liebende Schwester Jane.«
Der Brief stimmte Elisabeth traurig; aber wenigstens hatte sie nun die Gewißheit, daß ihre Schwester sich jetzt nicht mehr länger durch Caroline täuschen lassen werde. Was Mr. Bingley betraf, so mußten nunmehr alle Hoffnungen begraben werden. Jane selbst würde nicht einmal wünschen können, die Beziehungen wieder aufzunehmen, nachdem jetzt sein Charakter auch in ihren Augen so gelitten hatte. Elisabeth hatte nur das einzige Verlangen, er möchte als gerechte Strafe diese Miss Darcy wirklich heiraten, da sie auf Grund von Wickhams Bericht der festen Überzeugung war, daß diese junge Dame ihm oft Anlaß geben werde zu bereuen, was er sich verscherzt hatte.
Mrs. Gardiner erinnerte Elisabeth gelegentlich an das Versprechen, das sie ihr gegeben hatte, und bat um einen Bericht. Und Elisabeth schrieb einen Brief, der ihrer Tante mehr Freude bereitete als ihr selbst. Wickhams vermeintliche Zuneigung hatte sich inzwischen abgekühlt, seine Aufmerksamkeiten gehörten der Vergangenheit an; eine andere erregte jetzt seine Bewunderung. Elisabeth war offen genug gegen sich selbst, um sich diese Tatsache einzugestehen, und sie konnte darüber schreiben, ohne ernstlichen Kummer dabei zu verspüren. Ihr Herz hatte an ihren Gefühlen kaum Teil gehabt, und ihre Eitelkeit beruhigte sich bei dem Gedanken, daß sie bestimmt seine Wahl gewesen wäre, wenn seine Vermögenslage das zugelassen hätte. Eine unerwartete Erbschaft von zehntausend Pfund stellte den Hauptreiz der jungen Dame dar, der jetzt seine Ritterdienste galten. Aber Elisabeth erlaubte es sich, in diesem Fall weniger kritisch zu sein als ihrer Freundin Charlotte gegenüber, und sie trug es in ihrem Inneren Wickham nicht nach, daß er seinerseits den Wunsch nach Unabhängigkeit verspürte. Im Gegenteil, das war doch die natürlichste Sache von der Welt, und solange sie glauben konnte, daß es ihm nicht leicht gefallen war, sie aufzugeben, ließ sie seine Handlungsweise als höchst vernünftig gelten und konnte ihm in aller Aufrichtigkeit Glück wünschen.
Alles dieses wurde Mrs. Gardiner mitgeteilt; und der Brief schloß folgendermaßen: »Ich weiß jetzt genau,
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