Stolz und Vorurteil - Vollständige Ausgabe (German Edition)
weißt, sehr wenig ausgehen, ist es mehr als unwahrscheinlich, daß sie sich jemals treffen, es sei denn, daß er kommen sollte, um sie zu besuchen!«
»Und das ist gänzlich ausgeschlossen; denn er befindet sich jetzt unter der Obhut Mr. Darcys, und der erlaubt ihm bestimmt nicht, Jane in London aufzusuchen! Wie kannst du dir nur so etwas einbilden, liebste Tante? Mr. Darcy kennt eure Straße vielleicht vom Hörensagen, aber es wird ihm auch nicht im Traum einfallen, sie zu betreten; und sollte er eines Tages wirklich in diese unappetitliche Gegend verschlagen werden, dann würde er sich hinterher selbst nach monatelangem Waschen noch beschmutzt fühlen. Und das weiß ich genau, ohne seinen Freund tut Mr. Bingley keinen Schritt!«
»Um so besser! Ich hoffe ja nur, daß sie sich nicht zu sehen bekommen. Aber schreibt sich Jane noch mit seiner Schwester? Ja? Dann wird sie wohl kaum umhin können, ihnen einen Besuch zu machen.«
»Eher wird sie die ganze Freundschaft aufgeben!«
Mrs. Gardiner war nicht der gleichen Meinung wie Elisabeth; sie schöpfte sogar bei näherem Nachdenken einige Hoffnung für Jane. Es war doch immerhin möglich, vielleicht gar wahrscheinlich, daß Bingleys Zuneigung zu neuem Leben geweckt werden konnte und daß die Einwirkung seiner Freunde dem weitaus natürlicheren Einfluß von Janes Reizen weichen mußte.
Jane nahm die Einladung ihrer Tante mit Freuden an, und an die Bingleys dachte sie dabei nur insofern, als sie hoffte, daß Caroline nicht in demselben Haus wie ihr Bruder wohnte, so daß sie gelegentlich einen Morgen zusammen verbringen könnten, ohne Gefahr zu laufen, ihn zu treffen.
Die Gardiners blieben eine Woche in Longbourn, und nicht ein Tag verging, an dem nicht irgendeine Gesellschaft bei den Philips, den Lucas oder bei einer von den Offiziersfamilien stattgefunden hätte. Mrs. Bennet hatte für ihre Verwandten ein derart umfangreiches Vergnügungsprogramm aufgestellt, daß man nicht ein einziges Mal dazu kam, im engeren Familienkreise zu speisen. Traf man sich auf Longbourn, dann waren bestimmt auch einige Offiziere mit dabei, und unter denen wiederum durfte Mr. Wickham niemals fehlen.
Bei solchen Gelegenheiten beobachtete Mrs. Gardiner, durch die Wärme, mit der Elisabeth ihr Wickham geschildert hatte, aufmerksam geworden, die beiden aufs genaueste. Nach allem, was sie dabei sah, glaubte sie nicht, auf eine große Zuneigung schließen zu brauchen, aber die Vorliebe, die anscheinend jeder für die Gesellschaft des anderen hatte, kam ihr doch sehr merkwürdig vor. Sie beschloß, mit Elisabeth darüber zu sprechen, bevor sie nach London zurückfuhr, und ihr vorzuhalten, wie töricht es sei, den jungen Mann zu ermutigen.
Wickham verstand es übrigens, auch Mrs. Gardiner zu interessieren. Vor etwa zehn, zwölf Jahren nämlich, noch vor ihrer Ehe, war sie längere Zeit in dem Teil von Derbyshire gewesen, aus dem er stammte. Sie hatten daher viele gemeinsame Bekannte. Zwar war Wickham seit dem Tode des alten Mr. Darcy vor fünf Jahren nur selten dorthin zurückgekehrt, aber er vermochte ihr doch mehr über ihre alten Freunde zu berichten, als sie bisher in Erfahrung hatte bringen können.
Mrs. Gardiner kannte auch Pemberley und den alten Mr. Darcy, vom Hörensagen wenigstens, sehr gut. Daraus ergab sich natürlich ein schier unerschöpflicher Gesprächsstoff. Wickham rief ihr mit seiner eingehenden Schilderung ihre undeutliche Erinnerung an Pemberley wieder wach, und sie konnte seine Lobeshymnen auf den alten Darcy durch allerlei treffende Einzelheiten ergänzen; so bereiteten diese Erinnerungen beiden die gleiche Freude. Als sie von der üblen Behandlung erfuhr, die Mr. Wickham von dem jungen Darcy widerfahren war, glaubte sie sich bestimmt daran erinnern zu können, daß schon damals von Mr. Fitzwilliam Darcy als von einem ungewöhnlich hochnäsigen und üblen Burschen gesprochen wurde.
26. KAPITEL
M rs. Gardiner warnte Elisabeth bei der ersten Gelegenheit in freundschaftlicher Offenheit: »Du bist ein viel zu vernünftiges Mädchen, Lizzy, um dich nun gleich richtig zu verlieben, bloß, weil du davor gewarnt worden bist. Daher kann ich auch ganz offen mit dir sprechen. Ich bitte dich ernstlich, sei auf deiner Hut! Laß dich und auch ihn nicht auf etwas ein, was bei euer beider Vermögenslosigkeit einfach eine Unklugheit wäre. Ich will nichts gegen ihn sagen; im Gegenteil, ich finde, er ist ein sehr netter junger Mann, und wenn er etwas eigenes Vermögen besäße, würde
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