Stone Girl
Sethie einen Zettel hin. »… das ist die Nummer, unter der ich in Virginia erreichbar bin. Wo Dougs Eltern wohnen. Er hat gesagt, mein Handy könnte dort eventuell keinen Empfang haben.«
Sethie nimmt den Zettel mit der Nummer und steckt ihn in ihre Jeanstasche. Sie weiß noch nicht genau, was sie damit machen wird.
»Wir brechen morgen früh auf.«
Sethie nickt. Morgen ist Heiligabend.
»Frohe Weihnachten«, sagt Janey.
»Ja, alles klar.« Sethie zieht kurz in Erwägung, einen Scherz darüber zu machen, dass sie Jüdin ist, doch irgendwie scheint es die Mühe nicht wert zu sein.
»Ich würde dir auch ein frohes neues Jahr wünschen, aber wir sprechen uns ja vorher noch.«
Sethie zuckt die Achseln. »Ja, sicher.«
»Okay.« Janey dreht sich um und drückt auf die Taste neben dem Aufzug. Dass Janey reinkommen möchte, hätte Sethie ihr eher geglaubt, wenn sie den Reißverschluss ihres Wintermantels aufgemacht hätte. Andererseits war sie aber auch nicht gerade willkommen, und das hat Sethie ihr unmissverständlich zu verstehen gegeben.
17
Danach fällt Sethie noch ein weiterer Zettel mit einer Telefonnummer in die Hände. Sie legt ihn auf ihren Nachttisch neben ihr Handy. Sie hasst die Einrichtung ihres Zimmers. Weißer Rattan, ein Überbleibsel aus einer Phase, die sie mit zehn hatte, und während der sie sich alles in Weiß gewünscht hat. Eine Frisierkommode und ein Schreibtisch aus weißem Rattan und eine weiße Tagesdecke. Rebecca sagt, es habe keinen Sinn, irgendetwas davon auszutauschen, Sethie würde nächstes Jahr sowieso in eine neue Schule kommen und ausziehen.
Während sich Sethie ihren Pyjama überstreift und sich eine Flasche Wasser bereitstellt, wandert ihr Blick zu dem Zettel auf ihrem Nachttisch. Bevor sie zu trinken anfängt, nimmt sie ein Nahrungsergänzungsmittel namens »Chromium Piccolinat« ein, weil eines der Mädchen in der Schule meinte, davon würde man abnehmen.
Als sie schließlich nach dem Telefon greift und die Nummer wählt, weiß sie sie schon auswendig. Sethie lässt den Zettel in die Schublade ihres Schreibtisches gleiten. Sie schließt ihr Handy an das Ladegerät an, damit ihr beim Telefonieren nicht der Saft ausgeht. Sie zieht an dem Kabel, bis sie sich in die Mitte des Zimmers stellen kann. Sethie hält ihr Handy vor sich und drückt die Tasten. Nach dem zweiten Läuten hebt Ben ab.
»Ich habe Everything That Rises Must Converge gelesen«, sagt Sethie statt einer Begrüßung. »Eigentlich hätte ich lernen sollen, aber ich habe lieber deine Geschichte gelesen.« Sethie geht zum Bett und setzt sich in die Mitte, die Beine unter sich gekreuzt, den Rücken aufgerichtet.
»Es ist nicht meine Geschichte.«
»Aus meiner Sicht schon.«
Sethie glaubt, Ben lächelt gerade. »Na, und wie fandest du’s?«
Sethie atmet tief ein, bevor sie antwortet. »Ich fand es toll. Den Hut.«
»Ja.«
»Die Mutter.«
»Ich weiß.«
»Brillant.«
»Absolut.«
»Wenn ich es in die Columbia schaffe, musst du mir sagen, in welchem Kurs du das Buch gelesen hast. Ich möchte einen Lehrer, der mir hilft, herauszufinden, was das alles zu bedeuten hat.«
Ben lacht. »Wenn du es auf die Columbia schaffst, wird es mir ein Vergnügen sein, dich in der Auswahl deiner Kurse zu beraten.«
»Hey, ich bin absolut in der Lage, mir meine Kurse selbst auszusuchen.«
»Daran habe ich keinen Zweifel. Aber ich bin eben auch absolut in der Lage, dir dabei unter die Arme zu greifen.«
Sethie lächelt. Sie löst ihre Beine aus dem Schneidersitz.
»Ich habe zwei schlimme Dinge auf dem Kerbholz«, sagt sie langsam. »Aber irgendwie kann ich mich nicht entscheiden, welches ich dir zuerst erzählen soll.«
»Ist das eine schlimmer als das andere?«
Sethie schließt die Augen.
»Ja.«
»Na, dann staffel es doch nach Schlechtigkeitsgrad.«
»Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht ganz sicher, welche von beiden die schlimmere ist.«
»Na, immerhin weißt du, dass sie beide schlimm sind. Das ist schon mal die halbe Miete.«
»Alles klar, G. I. Joe.«
»Erzähl mir einfach beide gleichzeitig, und dann entscheide ich, welche schlimmer ist.«
»Ich habe Janey weggeschickt.« Bei diesen Worten sackt Sethie in sich zusammen. Sie zwingt sich, sich wieder gerade hinzusetzen. Gerade sitzen ist eine hervorragende Übung für die Bauchmuskeln.
»Was meinst du mit ›weggeschickt‹? Sie und Doug reisen morgen ab.«
»Ich meine doch nicht, dass ich sie nach Virginia geschickt habe, du hohle Nuss.«
»Hey, Süße,
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