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Stone Girl

Stone Girl

Titel: Stone Girl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alyssa B. Sheinmel
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Sie fragt sich, ob etwas von dem Gewicht aus ihr herausgeblutet ist, als sie sich geschnitten hat oder als sie so lange an dem Schorf geknibbelt hat, bis es wieder anfing zu bluten. Sie sinnt darüber nach, wie viel wohl Blut wiegt und ob ein Blutverlust überhaupt ausschlaggebend sein könnte oder ob die verlorene Menge einfach wieder neu gebildet wird. Aber wahrscheinlich nicht, denn wenn dem so wäre, warum sollten die Leute dann Bluttransfusionen brauchen?
    Sethie denkt, sie hätte im Biologieunterricht besser aufpassen sollen, dann wüsste sie vielleicht besser über ihr Blut Bescheid. Sie kann sich noch daran erinnern, wie sie im Biologieunterricht – in der neunten Klasse – mal ihre Blutgruppe bestimmen sollten, und die Lehrerin einen kleinen Plastikstift dabeihatte, der aussah wie ein Kugelschreiber. Aber wenn man oben draufdrückte, kam auf der anderen Seite keine Schreibmine heraus, sondern eine Nadel. Als sie sich in der Reihe anstellten, um sich in den Finger piken zu lassen, diskutierten die Mädchen hinter ihr die Vor- und Nachteile von normalem Salatdressing versus fettarmer versus fettfreier Salatsauce. Sethie hatte Schwierigkeiten, ihrem Gespräch zu folgen. Das da hinter ihr waren die beliebten Mädchen, und sie selbst war zu diesem Zeitpunkt noch dünn, oder zumindest dachte sie damals noch, sie sei dünn. Beziehungsweise, sie fand sich einfach nicht fett. Zur damaligen Zeit hatte sie fettarme Dressings noch nicht einmal probiert und aß generell kaum Salat.
    Sie weiß noch, wie sie sich wunderte, wieso es keine Möglichkeit gab, sich von der Aufgabe entbinden zu lassen. Hatte denn keines der Mädchen Angst davor, Blut zu sehen? Hatte denn sonst keiner Angst, dass es wehtun würde, wenn die Nadel zustach? Es ist lustig, jetzt daran zu denken, wie sehr sie sich damals gefürchtet hat. Sie war überrascht, konnte es kaum glauben, wie wenig sie die Nadel gespürt hat. Doch jetzt weiß sie, dass es eigentlich kaum wehtut, sich die Haut zu verletzen.
    Sie hat das Gefühl, als sei ihr BH zu groß, doch sie hat nur drei Kilo abgenommen, wohl kaum genug, um eine andere BH-Größe zu haben.
    Am ersten Tag nach den Ferien findet an Sethies Schule der »Tag der Gesundheit« statt. Man setzt sich mit den Schülern an einen Tisch und spricht mit ihnen über Selbstbewusstsein, Stress, Drogen und Sex. Sethie hätte es sinnvoll gefunden, den Tag der Gesundheit vor den Abschlussprüfungen abzuhalten, wo jeder bis zur Erschöpfung schuftet, sich mit dem Ritalin und den Amphetaminen seiner Freunde vollpumpt, um die ganze Nacht durchhalten zu können. Und wenn das schon nicht geht, dann haltet den Tag der Gesundheit doch wenigstens nicht am ersten Tag nach den Ferien ab, denkt Sethie, wenn einen jeder zweite Werbespot auf jedem x-beliebigen Kanal damit zudröhnt, wie man die unliebsamen Weihnachtspfunde wieder loswerden kann.
    Morgens hält ein Vergewaltigungsopfer eine Rede. Die gesamte Oberstufe (in den meisten anderen Schulen sagt man einfach Highschool, doch hier in der White sagt man ›Oberstufe‹), von Klasse neun bis zwölf, hat sich in die Aula gequetscht. Sethie ist die einzige Schülerin von den Seniors, die nach wie vor auf dem Boden sitzt, statt auf einem der Stühle, die sonst für die Lehrer bestimmt sind. Sie weiß, sie gehört eigentlich nicht hierhin, doch sie will das Gefühl des harten Holzes mit dem Gefühl von damals vergleichen, als sie noch drei Kilo mehr gewogen hat. (Seniors dürfen rein theoretisch auch den Fahrstuhl benutzen, doch Sethie hat sich geschworen, das nicht zu tun. Treppensteigen eignet sich hervorragend zum Kalorienverbrennen.) Sethie hört dem Opfer zu, wie es seine Geschichte erzählt. Es soll wohl alles sehr bewegend wirken, aber Lifetime hat den Fall schon verfilmt, und fast alle Seniors haben den Film gesehen, aus dem das Mädchen zur Verdeutlichung ein paar Szenen zeigt. Als sie fertig ist, betritt die Schulleiterin das Podium und bedankt sich bei ihr, dass sie ihre Geschichte mit ihnen geteilt hat. Das Mädchen tut Sethie einerseits leid, andererseits kann sie in ihrer jetzigen Stimmung nicht umhin zu denken, dass sie – zwischen Fernsehfilm und Vorträgen – ein ziemlich lukratives Geschäft aus ihrem Schicksal gemacht hat. Und der Schulleiterin gelingt es ohne Probleme, die Geschichte auf nichts weiter als eine Mahnung zu reduzieren, auf Verbindungspartys nichts zu trinken. Anständige junge Damen, so scheint sie zu suggerieren, trinken kein Bier vom Fass und sie

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