Stoner: Roman (German Edition)
eingetroffen. Edith stand im Wohnzimmer mitten unter ihnen, lächelte und schwatzte, als plagte sie nicht die geringste Ungewissheit oder Sorge. Fast beiläufig grüßte sie William und sagte ihm, er möge das Paket in die Küche bringen.
Die Party verlief wie so viele Feste. Gespräche begannen, gewannen rasch an Intensität, verloren aber auch gleich wieder an Schwung und gingen bedeutungslos in andere Gespräche über; kurzes, nervöses Gelächter brandete auf, winzige Explosionen überall im Raum, ein kontinuierliches, doch zusammenhangloses Sperrfeuer, und die Partygäste schlenderten entspannt von einem Platz zum nächsten, als besetzten sie insgeheim neue strategische Positionen. Andere wanderten wie Spione durchs Haus, von Edith oder William geführt, und gaben Kommentare darüber ab, wie vorteilhaft doch solch alte Häuser im Vergleich mit jenen neuen, minderwertigen Gebäuden seien, die hier und da am Rand der Stadt errichtet wurden.
Gegen zehn Uhr hatten sich die meisten Gäste kalten Schinken und Truthahnaufschnitt auf ihre Teller geladen,eingelegte Aprikosen und verschieden garnierte Kirschtomaten, Selleriestängel, Oliven, saure Gurken, scharfe Radieschen und kleine rohe Blumenkohlröschen; einige wenige waren betrunken und wollten nichts essen. Gegen elf Uhr hatten sich die meisten Gäste verabschiedet; zu denen, die noch geblieben waren, gehörten Gordon und Caroline Finch, einige Fachbereichsmitglieder, die Stoner schon seit Jahren kannte, und Holly Lomax. Lomax war ziemlich betrunken, was man ihm allerdings kaum anmerkte; er ging so vorsichtig, als trüge er eine Last über unebenes Terrain, und ein Schweißfilm lag auf dem schmalen, blass schimmernden Gesicht. Der Alkohol lockerte ihm die Zunge, und seine Stimme hatte, obwohl er sich noch sehr präzise ausdrückte, ihren ironischen Ton verloren, weshalb er seltsam schutzlos wirkte.
Er schilderte seine einsame Kindheit in Ohio, wo sein Vater ein kleiner, mäßig erfolgreicher Geschäftsmann gewesen war, und erzählte, als redete er über einen Fremden, von der Isolation, die ihm von seiner Missbildung aufgezwungen wurde, und den frühen Schamgefühlen, deren Ursache er nicht begriff, weshalb er sich gegen sie auch nicht zu wehren wusste. Und als er die langen Tage und Abende beschrieb, die er allein in seinem Zimmer verbracht hatte, berichtete, wie er gelesen hatte, um jene Grenzen zu überwinden, die ihm sein deformierter Körper setzte, und wie er allmählich ein Gefühl von Freiheit gewann, das wuchs, je deutlicher ihm das Wesen dieser Freiheit wurde, da empfand William Stoner eine Nähe zu ihm, mit der er nicht gerechnet hatte; er wusste, Lomax hatte die gleiche Verwandlung erlebt, die Epiphanie, durch Worte etwas zu erkennen, was sich in Worte nicht fassen ließ, wie Stoner sie während Archer Sloanes Unterricht widerfahren war. Lomax hatte sie früh und alleindurchlebt – weshalb dieses Wissen in höherem Maß ein Teil von ihm geworden war, als es für Stoner galt, doch auf jene Weise, auf die es letztlich ankam, waren sich die beiden Männer sehr ähnlich, auch wenn sie es einander oder auch nur sich selbst höchst ungern eingestanden hätten.
Sie redeten bis vier Uhr morgens, und obwohl sie noch mehr tranken, wurde ihre Unterhaltung immer leiser und stiller, bis schließlich niemand mehr etwas sagte. Wie auf einer Insel saßen sie inmitten der Überreste ihrer Party so eng beieinander, als suchten sie Wärme und Geborgenheit. Nach einer Weile erhoben sich Gordon und Caroline Finch und boten Lomax an, ihn zu seiner Wohnung zu fahren. Lomax gab Stoner die Hand, erkundigte sich nach dessen Buch und wünschte ihm damit Erfolg; darauf ging er zu Edith, die aufrecht im Sessel saß, und ergriff ihre Hand, um sich für das Fest zu bedanken. Und dann, wie von einem stummen, spontanen Einfall getrieben, beugte er sich ein wenig vor und legte seinen Mund auf ihre Lippen; Edith fuhr ihm mit der Hand leicht ins Haar, und einige Augenblicke verharrten sie beide in dieser Stellung, während die anderen zuschauten. Es war der keuscheste Kuss, den Stoner je gesehen hatte, und er fand ihn ganz natürlich.
Stoner brachte seine Gäste zur Tür und blieb noch einen Moment, sah sie die Stufen hinabgehen und aus dem Lichtschein der Veranda treten. Die kühle Luft drang durch seine Kleider, und er atmete tief ein; ihre scharfe Kälte belebte ihn. Widerstrebend schloss er schließlich die Tür und wandte sich um; das Wohnzimmer war leer, Edith bereits nach
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