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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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sie auf ihrem Zimmer, womit sie ganz zufrieden zu sein schien. Williams Arbeitszimmer betrat sie kein einziges Mal; es war, als würde es für sie gar nicht existieren.
    William kümmerte sich weiterhin nahezu allein um ihre Tochter. Wenn er nachmittags von der Universität kam, holte er Grace aus der oberen Schlafkammer, die er zu einem Kinderzimmer umgebaut hatte, und ließ sie in seinem Arbeitszimmer spielen. Sie beschäftigte sich still und genügsam auf dem Boden und schien gern allein zu sein. Gelegentlich redete William mit ihr, worauf sie in ihrem Tun innehielt und ernst aufschaute, ehe sich langsam ein seliges Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete.
    Manchmal lud er Studenten zu Treffen und Gesprächen ein, kochte Tee auf einer kleinen Heizplatte, die neben seinem Tisch stand, und spürte eine unbeholfene Zärtlichkeitfür die jungen Leute, die verlegen auf den Stühlen saßen, Bemerkungen über seine Bibliothek oder Komplimente über seine hübsche Tochter machten. Er entschuldigte sich für die Abwesenheit seiner Frau und erklärte, dass sie krank sei, bis er begriff, dass seine wiederholten Entschuldigungen ihre Abwesenheit nur betonten; also erwähnte er sie nicht mehr und hoffte, sein Schweigen möge weniger kompromittierend sein als seine Erklärungen.
    Hätte Edith nicht in seinem Leben gefehlt, wäre es fast vollkommen gewesen. Er las und schrieb, falls er nicht gerade Seminare vorbereitete, Klausuren korrigierte oder Doktorarbeiten durchging. Mit der Zeit hoffte er, sich als Lehrer wie als Gelehrter einen guten Ruf erarbeiten zu können. Seine Erwartungen für das erste Buch waren vorsichtig und bescheiden, und sie erwiesen sich als angemessen; ein Rezensent nannte es ›gründlich‹, ein anderer ›eine kompetente Studie‹. Anfangs war er sehr stolz darauf gewesen, hatte es in Händen gehalten, darin geblättert und mit den Fingerspitzen über den schlichten Einband gestrichen. Zart und lebendig wie ein Kind kam es ihm vor. Gedruckt las er seine Arbeit noch einmal und war gelinde überrascht, dass sie weder besser noch schlechter als erwartet ausfiel. Nach einer Weile hatte er sich allerdings daran satt gesehen, doch konnte er nie ohne ein Gefühl des Staunens und der Ungläubigkeit über die eigene Vermessenheit und die übernommene Verantwortung an sein Werk oder seine Autorenschaft denken.

VII
    IM FRÜHLING DES JAHRES 1927 kam William Stoner eines Abends spät nach Hause. In der feuchtwarmen Luft hing der Duft aufgehender Blüten; Grillen zirpten im Verborgenen; in der Ferne wirbelte ein einsames Automobil Staub auf und zerriss die Stille mit lautem, trotzigem Geknatter. Er ging langsam, wie gebannt von dieser schlaftrunkenen neuen Jahreszeit, gerührt von den winzigen grünen Knospen, die aus dem Schatten von Baum und Busch hervorglühten.
    Als er ins Haus kam, stand Edith am anderen Ende des Wohnzimmers, hielt den Telefonhörer am Ohr und schaute ihn an.
    »Du kommst spät«, sagte sie.
    »Ja«, erwiderte er freundlich. »Ich komme aus einem Rigorosum.«
    Sie reichte ihm den Hörer. »Für dich. Ein Ferngespräch. Jemand versucht schon den ganzen Nachmittag, dich zu erreichen. Ich habe ihm gesagt, dass du in der Universität bist, aber er hat trotzdem alle Stunde hier angerufen.«
    William nahm den Hörer und sprach in die Muschel. Niemand antwortete. »Hallo?«, sagte er noch einmal.
    Ihm antwortete die unbekannte blecherne Stimme eines Mannes.
    »Bill Stoner?«
    »Ja. Wer spricht denn?«
    »Sie kennen mich nicht. Ich bin nur zufällig vorbeigekommen, und Ihre Ma hat mich gebeten, diesen Anruf zu machen. Ich versuche schon den ganzen Nachmittag, Sie zu erreichen.«
    »Ja«, sagte Stoner. Seine Hand, die den Hörer hielt, zitterte. »Was ist denn?«
    »Es geht um Ihren Pa«, sagte die Stimme. »Ich weiß gar nicht, wie ich anfangen soll.«
    Die trockene, lakonische, verängstigte Stimme fuhr fort, und William Stoner hörte ihr apathisch zu, als existierte sie allein in dem Hörer, den er sich ans Ohr hielt. Was er vernahm, betraf seinen Vater. Er hatte (sagte die Stimme) sich schon fast eine Woche nicht besonders gefühlt, aber da sein Landarbeiter mit dem Pflügen und Anpflanzen nicht nachkam, war er trotz hohen Fiebers früh am Morgen aufgestanden, um bei der Aussaat zu helfen. Am späten Vormittag hatte ihn der Landarbeiter gefunden, bewusstlos und mit dem Gesicht nach unten auf dem gepflügten Acker. Er hatte ihn ins Haus getragen, ins Bett gelegt und den Arzt gerufen, aber gegen Mittag

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