Stoner: Roman (German Edition)
oben gegangen. Er machte die Lichter aus und fand durch das unaufgeräumte Zimmer den Weg zur Treppe. Das Haus wurde ihm bereits vertraut; er griff nach dem Geländer und ließsich davon nach oben führen. Oben angelangt, konnte er den Flur sehen, den das Licht aus der halb geöffneten Schlafzimmertür erhellte. Die Dielen knarrten unter seinen Schritten.
Ihre Kleider lagen unordentlich vor dem Bett, die Decke war achtlos zurückgeschlagen, und Edith lag unbekleidet und im Licht schweißglänzend auf dem weißen, glatten Laken. So nackt ausgestreckt wirkte ihr Körper wollüstig entspannt und glitzerte wie fahles Gold. William trat ans Bett. Sie schlief fest, doch ließ ihn der Lichteinfall glauben, ihr leicht geöffneter Mund formte lautlose Worte der Leidenschaft und Liebe. Lange stand er da, schaute sie an und empfand undeutliches Mitgefühl, zögerliche Freundschaft und vertrauten Respekt, aber auch eine müde Trauer, da er wusste, dass ihr bloßer Anblick nie mehr jene Agonie des Begehrens in ihm auslösen konnte, die er einst gekannt hatte, so wie er auch wusste, dass ihre Nähe ihn nie mehr derart erregen würde, wie sie es einst getan hatte. Dann verklang die Traurigkeit, und er deckte seine Frau sanft zu, machte das Licht aus und legte sich neben sie ins Bett.
Am nächsten Morgen war Edith müde und krank, weshalb sie tagsüber auf ihrem Zimmer blieb. William putzte das Haus und kümmerte sich um seine Tochter. Am Montag sah er Lomax und redete ihn in einem herzlichen Ton an, der noch vom Abend der Party herrührte; Lomax aber antwortete mit einer Ironie, die nach kalter Wut klang, und erwähnte die Party mit keinem Wort, weder an diesem Tag noch irgendwann später. Es war, als hätte er die Chance zu einer Feindschaft entdeckt, die ihn von Stoner fernhalten würde und die er nicht mehr loslassen wollte.
*
Wie William befürchtet hatte, erwies sich das Haus bald als eine erdrückende finanzielle Last. Obwohl er mit seinem Gehalt durchaus sparsam umging, hatte er am Monatsende fast nie etwas übrig, und jeder Monat verringerte die wenigen Rücklagen, die er durch den Sommerunterricht angespart hatte. Im ersten Jahr nach dem Hauskauf blieb er Ediths Vater zwei Zahlungen schuldig und erhielt einen Brief, der ihn in frostigem Ton zu Prinzipientreue und vernünftiger Finanzplanung gemahnte.
Dennoch begann er, sich über seinen Besitz zu freuen und auf eine Weise Trost daran zu finden, wie er es nie erwartet hatte. Sein Arbeitszimmer lag ebenerdig neben dem Wohnzimmer, und ein hohes Fenster wies nach Norden, sodass tagsüber sanftes Licht eindrang; außerdem verbreitete das alte Holzpaneel den Eindruck wohliger Wärme. Im Keller fand er eine Anzahl Bretter, die gut zum Paneel passen würden, waren die von Schmutz und Fäulnis hinterlassenen Schäden erst einmal beseitigt. Und weil er von seinen Büchern umgeben sein wollte, machte er sich ans Werk und zimmerte ein Regal; in einem Trödelladen fand er ein paar klapprige Stühle, ein Sofa und einen alten Tisch, für die er ein paar Dollar zahlte, um sie dann in vielen Wochen zu restaurieren.
Durch die Arbeit an seinem Zimmer, das langsam Gestalt annahm, begriff er, dass er, ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, viele Jahre lang verschämt ein Bild in sich bewahrt hatte, ein Bild, das vermeintlich einen Ort zeigte, aber eigentlich ihn selbst darstellte. Er selbst war es also, den er zu definieren versuchte, wenn er an seinem Arbeitszimmer werkelte. Während er die alten Bretter für sein Regal abschmirgelte und sah, wie das raue Äußere verschwand undunter dem grau Verwitterten das eigentliche Holz hervorkam, der satte Reichtum von Maserung und Struktur, während er die Möbel reparierte und im Zimmer aufstellte, war er selbst es, der langsam Gestalt gewann, war er es, dem er irgendwie eine Ordnung verlieh, war er es, den er möglich machte.
Obwohl Schulden und Not ihn immer wieder zu erdrücken drohten, waren die nächsten Jahre glücklich, und im Großen und Ganzen führte er ein Leben, wie er es sich als junger Student und auch damals, gleich nach der Heirat, erträumt hatte. Nur spielte Edith darin eine nicht gar so große Rolle wie einst erhofft, genau genommen schien für sie beide sogar eine lange Zeit des Waffenstillstands begonnen zu haben, die ihm wie ein Schachmatt vorkam. Meist führten sie getrennte Leben; Edith hielt das Haus, in das nur selten Gäste kamen, makellos sauber. Und wenn sie nicht fegte, Staub wischte, wusch oder polierte, blieb
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