Stoner: Roman (German Edition)
einem leuchtend bunten indian summer . Stoner sah dem Unterrichten mit einem Eifer entgegen,wie er ihn lange nicht mehr gespürt hatte, sodass selbst der Gedanke, den Gesichtern von hundert Erstsemestern gegenüberzutreten, die wiedererwachte Energie nicht schmälern konnte.
Sein Leben mit Katherine blieb nahezu unverändert, nur hielt er es angesichts der Rückkehr der Studenten und eines Großteils der Fachbereichsmitglieder für nötig, ein wenig Vorsicht walten zu lassen. Das alte Haus, in dem Katherine wohnte, war im Sommer so gut wie verlassen gewesen, weshalb sie in fast völliger Einsamkeit zusammengelebt hatten, ohne eine Entdeckung fürchten zu müssen. Jetzt aber musste William aufpassen, wenn er am Nachmittag zu ihr wollte, und er ertappte sich dabei, wie er die Straße auf und ab blickte, ehe er sich dem Haus näherte, und wie er verstohlen die Treppe in den kleinen Schacht, der zu ihrer Wohnung führte, hinunterschlich.
Sie dachten an großspurige Gesten, redeten von Rebellion und erklärten einander, sie seien versucht, etwas Unerhörtes zu wagen, einen Aufstand zu inszenieren, doch taten sie nichts dergleichen und hatten eigentlich auch gar keine Lust dazu. Sie wollten in Ruhe gelassen werden, wollten sie selbst sein und wussten doch, dass man sie weder in Ruhe noch sie selbst sein lassen würde. Sie glaubten, diskret vorzugehen, und ihnen kam kaum der Gedanke, man könne ihre Affäre bemerken. Sie achteten darauf, sich in der Universität nicht zu begegnen, und wenn sich ein öffentliches Zusammentreffen nicht vermeiden ließ, grüßten sie sich mit einer Förmlichkeit, von der sie dachten, dass niemand deren Ironie bemerkte.
Nach Beginn des Herbstsemesters aber wurde ihre Affäre rasch bekannt. Gut möglich, dass sich die Entdeckung jenereigenartigen Hellsicht verdankte, die manche Menschen in diesen Dingen besitzen, da sie beide mit keinerlei äußeren Anzeichen ihr Privatleben verrieten. Vielleicht hatte jemand auch nur müßig spekuliert, was für jemand anderen wiederum wahrscheinlich klang, woraufhin man sie beide genauer beobachtete, was wiederum … Sie wussten, so ließe sich endlos spekulieren, trotzdem konnten sie nicht damit aufhören.
Es gab Hinweise, die ihnen sagten, dass man ihnen auf die Schliche gekommen war. Einmal ging Stoner hinter zwei Doktoranden her und hörte den einen halb bewundernd, halb spöttisch sagen: »Mein Gott, der alte Stoner, wer hätte das gedacht?« – woraufhin sie in Anbetracht der menschlichen Natur spöttisch und ungläubig die Köpfe schüttelten. Bekannte von Katherine machten verdeckte Anspielungen auf Stoner und offerierten Vertraulichkeiten aus ihrem eigenen Liebesleben, um die sie nicht gebeten hatte.
Am meisten überraschte sie jedoch, dass dies offenbar niemandem etwas auszumachen schien. Keiner weigerte sich, mit ihnen zu reden; niemand warf ihnen böse Blicke zu; sie brauchten unter der Welt nicht zu leiden, vor der sie sich so gefürchtet hatten. Und sie begannen zu glauben, sie könnten an jenem Ort leben, von dem sie angenommen hatten, dass er ihrer Liebe feindlich gesinnt sei, könnten dort mit einer gewissen Würde und Leichtigkeit zusammen sein.
Edith beschloss, mit Grace über die Weihnachtsferien zu ihrer Mutter nach St. Louis zu fahren, und zum ersten und einzigen Mal in ihrem Leben konnten William und Katherine eine längere Zeit gemeinsam verbringen.
Beiläufig verbreiteten sie jeder für sich, dass sie während der Weihnachtsferien nicht in der Stadt sein würden; Katherine wollte Verwandte an der Ostküste besuchen und Williamin Kansas am bibliografischen Zentrum und Museum arbeiten. Zu unterschiedlichen Zeiten fuhren sie in verschiedenen Bussen ab und trafen sich in Lake Ozark, einem Urlaubsort in den Ausläufern der Ozarkberge.
Sie waren die einzigen Gäste in der einzigen Lodge des Dorfes, die ganzjährig geöffnet blieb, und hatten zehn gemeinsame Tage.
Drei Tage vor ihrer Ankunft hatte es heftig geschneit, und während ihres Aufenthalts schneite es erneut, sodass die sanft gewellten Hügel die ganze Zeit über weiß bedeckt blieben.
Sie bezogen eine mit Schlafzimmer, Wohnzimmer und einer kleinen Küche ausgestattete Blockhütte, die ein wenig abseits von den übrigen Hütten lag und Ausblick auf einen See bot, der in den Wintermonaten zugefroren blieb. Morgens wachten sie ineinander verschlungen auf, warm und wohlig unter schweren Decken. Sie lugten darunter hervor und sahen zu, wie ihr Atem in der kalten Luft zu
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