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Stoner: Roman (German Edition)

Stoner: Roman (German Edition)

Titel: Stoner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Williams
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großen Wolken kondensierte, lachten wie Kinder, zogen sich die Decken wieder über und schmiegten sich noch enger aneinander. Manchmal liebten sie sich, blieben den ganzen Vormittag im Bett und redeten, bis die Sonne durchs Westfenster schien; manchmal sprang Stoner auch aus dem Bett, sobald sie wach waren, zog Katherine die Decke vom nackten Leib und lachte über ihr Gezeter, während er im großen Kamin ein Feuer anfachte. Dann hockten sie sich davor, in eine einzige Decke gewickelt, und warteten darauf, dass ihnen warm wurde vom aufzüngelnden Feuer und der natürlichen Wärme ihrer Körper.
    Trotz der Kälte gingen sie fast jeden Tag im Wald spazieren. Die hohen Kiefern, grünschwarz im weißen Schnee, ragten gewaltig zum blassblauen, wolkenlosen Himmel auf;und wenn gelegentlich eine Ladung Schnee von einem Ast glitt und zu Boden fiel, unterstrich das nur die Stille, so wie ein gelegentliches Vogelzwitschern die Einsamkeit betont. Einmal sahen sie ein Reh, das auf der Suche nach Futter von den höheren Bergen herabgekommen war; hell leuchtete das gelbbraune Fell vor den monoton dunklen Kiefern und dem weißen Schnee. Aus kaum fünfzig Schritt Entfernung schaute es sie an, einen Vorderhuf achtsam über den Schnee gehoben, die kleinen Ohren nach vorn gedreht, die braunen Augen vollkommen rund und unfassbar sanft. Niemand rührte sich. Dann legte die Ricke den Kopf schief, als betrachtete sie die zwei mit höflicher Neugierde, um dann ihr zartes Gesicht in aller Ruhe abzuwenden und fortzulaufen, die Hufe anmutig über den Schnee gehoben und mit winzigem Knirschen sorgsam wieder abgesetzt.
    Nachmittags gingen sie zum Büro der Lodge, das gleichzeitig als Dorfladen und Restaurant diente. Sie tranken Kaffee, unterhielten sich mit den übrigen Gästen und kauften gelegentlich auch etwas fürs Abendbrot ein, das sie stets in ihrer Hütte einnahmen.
    Abends zündeten sie manchmal die Öllampe an und lasen, meist aber saßen sie auf gefalteten Decken vor dem Kamin, redeten, schwiegen, sahen den über die Scheite huschenden Flammen zu und beobachteten den Widerschein des Feuerspiels auf ihren Gesichtern.
    Gegen Ende ihrer gemeinsamen Zeit sagte Katherine eines Abends leise und wie in Gedanken: »Wenn wir auch sonst nichts mehr haben, Bill, so hatten wir doch immerhin diese Woche. Klingt das sehr nach Klischee, wenn ich das sage?«
    »Es ist egal, wie es klingt«, sagte Stoner und nickte. »Es stimmt.«
    »Dann sage ich es«, sagte Katherine. »Wir hatten immerhin diese Woche.«
    An ihrem letzten Vormittag rückte Katherine die Möbel zurecht, putzte die Hütte mit bedächtiger Sorgfalt und streifte den Ehering ab, den sie getragen hatte, um ihn in einen Spalt zwischen Wand und Kamin zu zwängen. Sie lächelte verlegen. »Ich will«, sagte sie, »etwas von uns zurücklassen, etwas, das bleibt, solange diese Hütte steht. Bestimmt ist das dumm von mir.«
    Stoner konnte nicht antworten. Er hakte sich bei ihr unter, und sie verließen die Hütte, um durch den Schnee zum Büro der Lodge zu stiefeln, wo sie den Bus besteigen würden, der sie zurück nach Columbia brachte.
    *
    Einige Tage nach Beginn des zweiten Semesters erhielt Stoner an einem Nachmittag Ende Februar einen Anruf von Gordon Finchs Sekretärin: der Dekan würde gern mit ihm sprechen, er möge bitte gleich jetzt oder am nächsten Vormittag bei ihm vorbeisehen. Stoner blieb, nachdem er aufgelegt hatte, noch mehrere Minuten mit der Hand auf dem Telefon sitzen. Dann seufzte er, nickte sich zu und ging zu Finchs Büro.
    Gordon Finch, in Hemdsärmeln und mit gelockertem Schlips, verschränkte die Hände hinterm Kopf und lehnte sich auf seinem Drehstuhl zurück, als Stoner hereinkam. Er nickte ihm freundlich zu und deutete auf einen schräg vor dem Schreibtisch stehenden Ledersessel.
    »Mach’s dir bequem, Bill. Wie geht es dir?«
    Stoner nickte. »Danke, bestens.«
    »Wie laufen die Seminare?«
    »Wie immer«, erwiderte Stoner trocken. »Ich habe einen ziemlich vollen Stundenplan.«
    »Ist mir nicht entgangen«, sagte Finch und schüttelte den Kopf. »Du weißt, ich kann mich da nicht einmischen, aber es ist eine verdammte Schande.«
    »Schon in Ordnung«, erwiderte Stoner ein wenig ungeduldig.
    »Nun.« Finch richtete sich auf und legte die Hände vor sich auf den Tisch. »Dies ist kein offizielles Treffen, Bill. Ich wollte nur eine Weile mit dir schwatzen.«
    Es folgte eine lange Stille, dann sagte Stoner sanft: »Was ist los, Gordon?«
    Finch seufzte, und dann

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