Stoner: Roman (German Edition)
uns?«
Stoner nickte. »Ihm ist da einiges zu Ohren gekommen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Katherine. »Besagte Dozentin schien auch etwas zu wissen, was sie mir nicht sagen wollte. Ach, Herrgott, Bill!«
»So war es gar nicht«, sagte Stoner. »Gordon ist ein alter Freund. Ich denke, dass er uns beschützen will. Und ich glaube, er wird es auch tun, solange er kann.«
Einige Sekunden sagte Katherine nichts. Dann streifte sie die Schuhe ab, streckte sich auf dem Sofa aus und starrte an die Decke. Ruhig sagte sie: »Jetzt fängt es an. Dass sie uns einfach in Ruhe lassen, war wohl zu viel erwartet. Aber ich denke, dass es so kommen würde, davon sind wir auch nie ernsthaft ausgegangen, oder?«
»Wenn es zu schlimm wird«, sagte Stoner, »können wir ja fortgehen. Wir könnten etwas tun.«
»Ach, Bill!« Katherine lachte leise und heiser. Dann setzte sie sich wieder hin: »Du bist wirklich der liebste Mann, den man sich nur wünschen kann. Und deshalb lasse ich auch nicht zu, dass man uns das Leben schwer macht. Ich lasse es nicht zu!«
Während der nächsten Wochen lebten sie wie bisher. Mit einer Umsicht, zu der sie ein Jahr zuvor noch außerstandegewesen wären, mit einer Kraft, von der sie nicht geglaubt hatten, sie zu besitzen, übten sie sich in Ausflüchten und Täuschungsmanövern und setzten ihre Fähigkeiten so geschickt ein wie gewiefte Generäle, die mit geringer Truppenstärke auskommen müssen. Sie ließen nun allergrößte Vorsicht walten und fanden ein grimmiges Vergnügen an ihren Winkelzügen. Stoner betrat Katherines Wohnung nur noch nach Anbruch der Dunkelheit, wenn ihn niemand kommen sehen konnte; Katherine zeigte sich tagsüber zwischen den Seminaren mit jungen Dozenten im Café, und die miteinander verbrachte Zeit wurde noch intensiver durch ihre gemeinsame Entschlossenheit. Sie sagten sich und einander, sie seien sich so nahe wie nie, und merkten zu ihrer Überraschung, dass dies stimmte, dass die zu ihrem Trost vorgebrachten Worte nicht bloß tröstlich waren. Sie machten ihre Nähe zueinander möglich und ihre Bindung zwangsläufig.
Die Welt, in der sie lebten und die alles Gute in ihnen zum Vorschein brachte, war eine Welt des Dämmerlichts, sodass ihnen die äußere Welt, in der Menschen gingen und redeten, in der es Veränderung und stete Bewegung gab, nach einer Weile falsch und unnatürlich vorkam. Ihre Leben waren radikal in zwei Welten geteilt; und sie fanden es ganz natürlich, so geteilt zu leben.
Während der späten Winter- und der ersten Frühlingsmonate fanden sie zu einer Ruhe, die sie vorher nicht gekannt hatten. Je näher die Außenwelt rückte, desto weniger nahmen sie davon wahr; und ihr Glück war solcherart, dass sie miteinander nicht darüber zu reden oder auch nur daran zu denken brauchten. In Katherines kleiner, dämmriger, wie eine Höhle unter dem wuchtigen alten Haus verborgenerWohnung meinten sie, sich außerhalb der Zeit in einem, allein von ihnen entdeckten Universum zu bewegen.
Ende April rief Gordon Finch dann Stoner eines Tages erneut zu sich ins Büro, und Stoner ging mit einem dumpfen Gefühl, das von einem Wissen rührte, welches er sich nicht eingestehen wollte.
Was geschehen war, war klassisch und simpel. Stoner hätte es vorhersehen müssen, doch das hatte er nicht.
»Es ist Lomax«, sagte Finch. »Irgendwie hat der Hundesohn davon erfahren, und er lässt nicht locker.«
Stoner nickte. »Ich hätte daran denken sollen, hätte damit rechnen müssen. Glaubst du, es hilft, wenn ich mit ihm rede?«
Finch schüttelte den Kopf, durchquerte sein Büro und stellte sich ans Fenster. Das frühe Nachmittagslicht fiel auf sein vor Schweiß glänzendes Gesicht, als er müde sagte: »Du verstehst nicht, Bill, wie Lomax vorgeht. Dein Name wurde gar nicht erwähnt. Er macht es über diese Driscoll.«
»Er macht was?«, fragte Stoner verdutzt.
»Man könnte ihn fast dafür bewundern«, antwortete Finch. »Irgendwie war ihm verdammt klar, dass ich Bescheid wusste. Jedenfalls kam er gestern vorbei, ganz lässig, verstehst du, sagt mir, er müsse die Driscoll feuern, und warnt mich auch noch, dass es Ärger geben könne.«
»Nein«, sagte Stoner, der die Hände so fest in die ledernen Armlehnen seines Sessels vergrub, dass sie ihm wehtaten.
»Laut Lomax«, fuhr Finch fort, »hat es Beschwerden gegeben, hauptsächlich von studentischer Seite, aber auch von einigen Stadtbewohnern. Offenbar hat man zu allen Zeiten Männer bei ihr ein und aus gehen
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