Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
zurückhallte. »Ich habe dich, Schätzchen!«, frohlockte ich weiter. »Diesmal bist du fällig.«
Hanna überreichte dem Lieferjungen einen Zwanzig-Euro-Schein und nickte ihm mit einem verkrampften Grinsen zu.
Der Junge gab ihr im Gegenzug die Pizzen und verabschiedete sich mit einer grüßenden Armbewegung.
Peter Cramme ging zurück ins Haus, der Pizzajunge zu seinem Wagen.
Nur Hanna blieb an der Tür stehen. Sie beobachtete die Nachbarschaft. Ihre Augen streiften auch über mein Versteck, blickten kurzzeitig direkt in mein Fernglas. Ihre Angst war greifbar. Sie wusste, dass sie verfolgt wurde. Allerdings ahnte sie nicht, dass ihr Jäger sie bereits ins Visier genommen hatte. Sie konnte mich in meinem dunklen Zimmer nicht erkennen. Das hätte ich bemerkt. Hanna starrte noch mal unsicher in Richtung Straße, ehe sie kopfschüttelnd die Tür hinter sich zuzog.
Adrenalin durchströmte meinen Körper. Der Jäger hatte seine Beute im Fadenkreuz, die Angst des Opfers förmlich auf der Zunge geschmeckt. Süß und salzig zugleich. Ich wäre am liebsten sofort heruntergestürmt und hätte sie rasch erledigt. Aber dieses brachiale Vorgehen erschien mir zu tollkühn für einen Mann meines Alters. Früher hätte ich vielleicht so impulsiv gehandelt und damit wahrscheinlich sogar Erfolg gehabt, aber ich bin kein wilder Heißsporn mehr, nicht mehr mit Mitte vierzig.
Während die Crammes ihre Pizzen verschlangen, aß auch ich mein mitgebrachtes Abendbrot. Ein Brötchen mit Leberwurst, mehr nicht. Ich wollte satt werden und nicht schlemmen. Im Einsatz sollte man zweckdienlich handeln. Diesen Leitsatz habe ich aus meiner Zeit bei der Bundeswehr behalten. Praktisch denken, Überfluss vermeiden. Jeglicher unnütze Schnickschnack kann dir auf dem Schlachtfeld das Leben kosten. Mein Ausbilder war ein weiser Mann gewesen. Er ist elendig an Bauchspeicheldrüsenkrebs verendet; war in seinen letzten Tagen nur noch ein jämmerlicher Schatten seiner selbst gewesen. Eine Schande! Ich nahm mir vor, mal wieder sein Grab zu besuchen.
Die Erinnerung machte mich müde. So müde wie ein Soldat nach einem Tagesmarsch ohne Rast. Ich breitete wenig später meine Isomatte aus, um meine weiteren Schritte zu überschlafen. Ich ignorierte den harten, dreckigen Boden und nächtigte allen Widrigkeiten zum Trotz eingerollt wie ein Baby in der Bruchbude. Ich wollte fit sein für Phase zwei.
Gleich nach Tagesanbruch lag ich wieder auf der Lauer. Ich beobachtete, ich starrte, ich bewies Geduld. Anfangs ohne Erfolg. Im Haus der Crammes rührte sich rein gar nichts. Der Besuch des Postboten war der Höhepunkt des Tages. Nur holte niemand die Post vom Briefkasten ab. Die Familie war vorsichtig, fast schon übervorsichtig. Als sich die Sonne langsam gegen Abend senkte, platzte mir beinahe die imaginäre Hutschnur. Ich fasste einen folgenschweren Entschluss. Noch eine Nacht wollte ich nicht in dem maroden Haus auf der Isomatte verbringen. Ich bin nun mal nicht mehr der Jüngste; in meinem Rücken rieb sich schon eine kleine gemeine Hexe die Hände, bereit für den finalen Schuss. Danach hätte ich nur noch aus dem Haus herauskriechen können wie eine räudige Made. Außerdem gingen meine mitgebrachten Vorräte zur Neige. Die letzte Literflasche Wasser war nur noch zur Hälfte gefüllt. Bald hätte ich ohne die schmerzlindernde Flüssigkeit auskommen müssen. Mein Hals brannte schon beim bloßen Gedanken daran. Ich musste zuschlagen. Jetzt oder nie!
Ich setzte mich auf meinen Kunststoffschemel und zermarterte mir das Hirn, bis fiktiver Qualm aus meinen Ohren aufstieg. Existierte ein Weg ins Haus, ohne das Risiko einzugehen, vor dem Einstieg bemerkt zu werden? Ich konnte nicht einfach bei der Familie klingeln. Hanna kannte mein Gesicht. Einem maskierten Mann hätten sie erst recht nicht geöffnet. Die Eingangstür war zu massiv, um sie zu knacken.
Ich stand vor hohen Burgmauern und hatte meinen Rammbock vergessen. Es war zum Verzweifeln. Aus Frust rauchte ich fünf Zigaretten Kette. Die abgebrannten Stummel musste ich zu allem Überfluss wieder einpacken. Ich durfte keine DNA neben einem zukünftigen Tatort hinterlassen. Bestimmt würde die Polizei auch in dem heruntergewirtschafteten Haus nach Spuren suchen, wenn es gegenüber Leichen gäbe.
Bevor ich die sechste Zigarette anzünden konnte, fiel mir eine Lösung für mein Problem ein. Ich hatte es eigentlich die ganze Zeit über schon gewusst. Manchmal will man die Wahrheit eben nicht gleich
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