Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
meinem Bedauern waren alle Rollläden vor den Fenstern an der Frontseite des Hauses heruntergelassen. Selbst das kleinste Fenster unter dem dunkelblauen Dach wurde hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Ob die Familie sich verstecken oder das Haus lediglich kühl halten wollte, konnte ich nicht sicher sagen. Immerhin herrschte einer der wärmsten September der letzten Jahre über Deutschland.
Ich seufzte unmerklich vor mich hin und nahm den Rucksack von meinen Schultern ab. Er landete neben mir auf dem schmutzigen Boden. Mein Hals trocknete zunehmend von der staubigen Zimmerluft aus. Er kratzte und verlangte nach Wasser. Ich öffnete den Reißverschluss des schwarzen Behältnisses und zog einen kleinen Klapphocker hervor, wie ihn Angler am Fluss häufig benutzen. In weiser Voraussicht hatte ich mir einige Utensilien eingepackt, die mir ein längeres Verweilen in meinem Unterschlupf ermöglichten: Essen, Trinken, eine Sitzmöglichkeit, eine Isomatte, (ganz wichtig) ein Fernglas und eine kleine Geheimwaffe, die ich später sogar einsetzen musste. Ich klappte den Hocker auf, setzte mich vor das Fenster und trank ein paar großzügige Schlucke aus meiner Wasserflasche, bis sich das Kratzen legte. Im Anschluss griff ich nach dem Fernglas. Ich setzte es an meine Augen und startete meine Beobachtungen.
Die Zeit verging dieses Mal nur schleppend. Regungslos verharrte ich in meiner unbequemen Haltung auf dem kleinen Hocker. Ich vermisste die entspannte Atmosphäre meines Mobbys. In der Bruchbude musste ich auf den weichen Fahrersitz und die musikalische Untermalung verzichten. Nur gelegentlich erlaubte ich mir ein kurzes Dehnen meiner Gliedmaßen. Ich durfte nicht zu sehr vor dem Fenster herumhampeln, musste mich mit den Schatten des Innenraumes vereinigen. Dazu passte meine ausnahmslos schwarze Kleidung, die ich bei dem Einsatz trug. Ich hatte Ähnlichkeit mit einem Ninja. Ich schaute mit, ich schaute ohne Fernglas, gierte nach jeder noch so kleinen Information oder Bewegung. Das stumme Haus gegenüber verspottete meine Bemühungen mit kalter Ignoranz. Ich stellte mir schon die Frage, ob ich in Berlin nur meine Zeit verschwendete. Die Crammes konnten längst weitergezogen sein. Nach Hamburg? Nach Südostasien? Wer hätte es wissen können? Doch meine Hartnäckigkeit sollte sich wieder einmal auszahlen.
Gegen zwanzig Uhr hielt ein Pizzalieferdienst vor dem Haus der Crammes. Der Lieferjunge stieg aus, schnappte sich drei flache Pappkartons mit Pizzen darin und öffnete das Gartentor.
Ich lächelte triumphierend in meiner einsamen Kammer. Der Kerl brachte drei Pizzen zu der Familie. Drei! Für jeden Bewohner eine. Der Pizzaboy stoppte vor der massiven, hölzernen Eingangstür ab und betätigte die Klingel. Durch mein Hochleistungsfernglas beobachtete ich das Szenario so detailliert, als würde ich direkt daneben stehen. Eine Weile tat sich nichts.
Der Lieferjunge trat schon nervös von einem Bein auf das andere. Die Kartons wurden heiß auf seinen Handflächen. Er klingelte erneut.
Endlich erfolgte eine Reaktion. Die Eingangstür öffnete sich einen Spalt breit und schließlich zur Gänze. Die Bewohner waren vorsichtig beim Öffnen der Tür gewesen, hatten den Ankömmling genau studiert, bevor sie sich nach draußen begaben. Die Familie wartete auf mich und hatte sich auf ungebetene Gäste vorbereitet. So viel konnte ich aus ihrem Verhalten schon mal ableiten.
Ich schärfte meine visuellen Sinne. Ein dicklicher Mann schleppte sich durch die Tür ins Freie. Es war Peter Cramme. Er hatte sich im Vergleich zu dem Foto an Hannas Wand kaum verändert. Der Haarkranz, die Brille. Alles war gleich geblieben. Vielleicht hatte er noch ein paar Kilo zugelegt, aber das konnte mir nur zum Vorteil gereichen. Zudem hatte der Hausherr ein weiteres Handicap. Er humpelte und zog sein rechtes Bein beim Gehen leicht nach.
Hannas Vater wechselte ein paar Worte mit dem Lieferanten und nickte anschließend , ohne dabei freundlich zu wirken. Er drehte sich herum und rief etwas ins Haus hinein.
Mein Herz setzte einen Schlag aus, als meine Bezwingerin die Szene betrat.
Da war sie, Hanna Cramme, mit forschendem Blick und angespanntem Nervenkostüm. Ich konnte die Unsicherheit hinter ihrer abgeklärten Fassade durchschauen. Sie benahm sich wie ein typischer Gejagter. Mit scheuen Augen musterte sie die Umgebung, stellte die Ohren auf wie ein Luchs. Ich stieß ein freudiges ‚Ha‘ aus, das von den hohlen Wänden um mich herum stumpf
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