Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
leerstehenden Haus an und hüpfte elegant über den hüfthohen Gartenzaun. Der grüne Lack blätterte sichtbar vom Metall ab. Ich landete in einen wildbewachsenen Garten.
Hier hatte seit Langem kein Gärtner mehr Hand angelegt. Das Gras wucherte hinauf bis zu meinen Knien; manches Unkraut wuchs sogar noch höher. Beiläufig registrierte ich schon Hannas Elternhaus aus den Augenwinkeln. Es wurde von hohen Koniferen umringt und vermittelte mir eine geheimnisvolle Aura der Verschwiegenheit. Offensichtlich lebte der Besitzer der Immobilie lieber zurückgezogen. Aber warum? Was hatten die Crammes zu verheimlichen? Ich wollte den Blickschutz umgehen und sie aus der Vogelperspektive ausspionieren. Dazu musste ich nur noch die halbe Ruine vor mir betreten.
Das Haus hatte eine Komplettsanierung oder bestenfalls einen Abriss dringend nötig. Der gelbliche Putz bröckelte von den Wänden. Risse maserten das Fundament. Das rote Ziegeldach des zweistöckigen Hauses war ausgeblichen und von einer dünnen Moosschicht befleckt. Meiner Einschätzung nach bestand bei der Hütte höchste Einsturzgefahr. Der nächste Orkan würde die Bude in die heiligen Jagdgründe einsenden. Da so eine Wetterlage aber nicht zu erwarten war, bemühte ich meine alten Freunde Spanner und Hook. Das Schloss der Haustür war technisch überholt und stellte kein Problem für einen halbwegs geschickten Einbrecher dar. Ich brachte die Geräte in Position und klick, klick, klick, Sesam öffne dich!
Der Anblick drinnen überraschte mich wenig. Das Haus war von außen schon eine ausgemachte Bruchbude; genau so sahen Wände, Böden und Decke im Inneren aus. Muss ich den Schandfleck detailliert beschreiben? Jeder von Ihnen hat so eine Müllhalde bereits gesehen, bei einem Umzug oder durch die Arbeit. Malen Sie sich das Bild selbst aus! Das bisschen Fantasie sollte jeder von Ihnen aufbringen können.
Ich wanderte durch das Treppenhaus und schlich auf maroden Holzstufen hinauf in die zweite Etage. Die Holzbalken unter meinen Füßen drohten, bei jeder Belastung durchzubrechen, hielten meinen neunzig Kilogramm aber stand. Im Obergeschoss entdeckte ich, dass ich nicht der erste ungebetene Besucher der heruntergekommenen Hütte gewesen war. In krakligen roten Buchstaben war ‚1. FC Union Berlin‘ an eine der Wände gesprayt worden. Das bewies mir, dass selbst Jugendliche das Türschloss knacken konnten. Vielleicht hatten sie den Einstieg auch durch ein offenes Fenster im Erdgeschoss geschafft. Ich kümmerte mich nicht darum. Wichtig war nur, dass sich im Moment keiner der Rotzlöffel in meiner Nähe tummelte. Und das war ganz gewiss der Fall. Die Stimmung im Haus konnte man getrost als unterkühlt bezeichnen, sie war fast schon trist. Ich fühlte mich für einen Augenblick wie der letzte Mensch auf der weiten Welt. Hatte das Haus mich herbeigerufen? Wer hatte diese Räumlichkeiten zuletzt betreten, und was waren dessen Beweggründe? Konnten Häuser sich einsam fühlen? Lauter wirre Gedanken buhlten um meine Aufmerksamkeit. In diesem Haus hatten vielleicht einmal Eltern ihre Kinder groß gezogen. Irgendwo vermisste unter Umständen jemand die Stätte seiner Jugend. In diesem Bauwerk war gelacht, geweint, gelebt und eventuell gestorben worden. Übrig blieb nur eine seelenlose Hülle, die auf den Abrisskran wartete. Das unwürdige Ende eines verlassenen Hauses?
Ich dachte kurz an mein Elternhaus zurück und was daraus geworden sein mochte. Sollte ich mir die Entwicklungen auf dem Hof eines Tages noch mal ansehen oder würde der Anblick dieser Ruine nur schmerzen? Ich entschied mich vorläufig gegen einen überstürzten Besuch in der Heimat. Ich spüre immer noch die Schmerzen in meinem Herzen, als wären sie ganz frisch. Der Mensch, dem dieser Fleck des Glücks etwas bedeutet hatte, ist seit Jahren fortgegangen und wird nie mehr zurückkehren. Traurig, aber wahr.
Ich blinzelte die rührselige Feuchtigkeit aus meinen Augen und trat an ein großes Fenster heran. Ich lugte nach schräg links zum Haus der Crammes herüber und wurde für meine Vorarbeit belohnt. Vom zweiten Stock des baufälligen Hauses erhielt ich einen erstklassigen Einblick in das Grundstück von Hannas Vater. Hinter den Koniferen schloss sich eine größere gepflegte Rasenfläche mit zwei Apfelbäumen an. Die Früchte reiften in der Sonne zu süßen Leckereien. Dahinter türmte sich ein weißes Haus mit drei Etagen auf. Auf der linken Seite lehnte sich eine flache Garage samt Ausfahrt am Haus an. Zu
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