Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
Flur. Tuut-tuut-tuut.
» Scheiße!«, motzt der Kerl vor sich hin. »Also los! Die Pflicht ruft!«
Ich höre , wie er seinen Stuhl zurückschiebt und aufsteht. Die schweren Schritte sind gleich bei mir.
Ich wappne mich für eine Konfrontation, lege mir schnell eine Ausrede zurecht. Ich bereite mich auf die unterschiedlichsten Szenarien vor. Doch es geschieht im Grunde gar nichts. Der Mann läuft an mir vorbei, hält kurz inne und starrt mich verdutzt an. Ich sehe eine Frage in seinem Gesicht, aber er stellt sie nicht. Der Alarm hat Vorrang.
Ich senke meinen Kopf und biete einen zerbrechlichen Anblick. Ein alter Mann, der sich die Beine vertritt, mehr bin ich nicht für ihn. Der Pfleger zuckt die Achseln und dreht sich um. Nach wenigen Augenblicken verschwindet er hinter der automatischen Tür. Ich überlege nicht lange und schlage die entgegengesetzte Richtung ein. Meine Füße zwicken, die Beine brennen, und in meinem Rücken stecken zwei fiese Säbel, die mir den Sauerstoff rauben. Alles ist mir egal. Ich schleppe mich durchs Treppenhaus, vorbei an der abgelenkten Rezeptionistin und atme sogleich den süßen Duft der Freiheit ein.
Ich bin dem Krankenhaus entkommen. Zum Dank hechel t meine Lunge wie ein junger Hund; mein Herz schlägt so heftig, als hätte ich gerade den Mount Everest bestiegen. Mein ganzer Körper flammt vor Schmerzen; doch bin ich glücklich, noch am Leben zu sein.
»Wunden heilen, aber sie hinterlassen Narben auf deiner Haut, die nie wieder verblassen«, hatte mein Vater mal zu mir gesagt. In meiner jetzigen Situation verstehe ich, was er damit meinte. Obwohl der Kontext auch sehr tiefsinnig daherkommen kann, beschränkt er sich bei mir auf das Wesentliche, meine körperlichen Blessuren.
Ich stehe im Badezimmer meiner Wohnung und betrachte die Einschusswunden im Spiegel. Tiefrote Kreise stanzen sich in meinen Rücken. Ich tupfe mit einem in Alkohol getränkten Wattebausch darauf herum. Die Wunden sind durch die Bewegung in der letzten Nacht leicht aufgeplatzt und müssen desinfiziert werden. Obwohl ich nur ganz sanft aufdrücke, bohrt sich mit jeder Berührung ein Blitz in meinen Rücken. Ich fletsche die Zähne. Es muss sein. Klaglos mache ich weiter. Hoffentlich wirken die Schmerztabletten bald, die ich vor wenigen Minuten eingeworfen habe. Die Qualen sollen endlich aufhören, sonst muss ich schreien wie ein altes Waschweib. Ich spiele den Helden für mich selbst. Niemand würde meine Schmerzenslaute hören, und doch will ich keine Schwäche zeigen. Ich reinige die Wunden gründlich, um einer Infektion vorzubeugen. Die hätte mir gerade noch gefehlt. Ich tupfe, zische dabei wie eine Schlange und lasse mir meine Flucht noch mal durch den Kopf gehen.
Nachdem ich das Krankenhaus verlassen hatte, lief ich zu der nächstbesten Telefonzelle, die unweit des Ausgangs auf zahlende Kunden wartete. In einer Tasche meiner geborgten Jeans fand ich zufälligerweise Kleingeld im Wert von einem Euro und fünfzig Cent. Ich steckte die Münzen in den Schlitz des Automaten und bestellte ein mir vertrautes Taxiunternehmen in die Nähe des Krankenhauses. Die Nummer ist leicht zu merken; sie fiel mir trotz des Traumas auf Anhieb wieder ein. Die Fahrer dieser ominösen Firma werden gut bezahlt und stellen keine Fragen. Sie nehmen die Gesichter ihrer Fahrgäste mit ins Grab. Genau das, was ich brauchte.
Eine halbe Stunde später traf ein weißer Mercedes ohne jegliche Auffälligkeiten am verabredeten Treffpunkt ein. Der Dienst ist kein klassisches Taxiunternehmen. Auf Klebefolie verzichtet das Unternehmen bei seinen Autos aus gutem Grund. Es steht nicht offiziell im Handelsregister.
Der Fahrer in dem noblen Oberklassewagen war arabischer Herkunft, hatte einen gepflegten Schnurrbart und konnte nur gebrochenes Deutsch sprechen. Es reichte aber für die nötigste Kommunikation aus. In seinen Augen konnte ich lesen, dass ihn mein körperlicher Zustand beunruhigte. Er verlor aber nicht ein Wort darüber, keinen einzigen Ton. Er erkundigte sich lediglich nach meinem Ziel.
Ich lotste ihn auf die A9 und von dort aus zu dem Parkplatz, an dem ich Mobby abgestellt hatte. Mein Auto war verschwunden und mit ihm Peter Cramme. Ehrlich gesagt stimmte das Szenario mit meinen Erwartungen überein. Da verstand noch jemand den Tanz mit dem Feuer; dieser jemand ließ wie ich keine Spuren am Tatort zurück.
Diese Gründlichkeit konnte ich jedoch nicht Hanna zusprechen. Sie war vielleicht schlau, aber sie kannte sich
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