Storm - Aus dem Leben eines Auftragskillers (German Edition)
von meinem Kaffee zu trinken, und habe diesmal Erfolg damit. Er ist gallebitter, aber wenigstens auf ein erträgliches Maß heruntergekühlt. »Was ich dich noch fragen wollte …«, beginne ich eine Konversation. Ich achte darauf, dass meine Stimme am Nachbartisch nur noch zu einem unverständlichen Flüstern verwischt.
Hanna schaut mir in die Augen.
»… woher wusstest du von mir?«
Sie legt die Stirn in Falten und sieht plötzlich zehn Jahre älter aus.
»Ich meine, am Tag unseres ersten Aufeinandertreffens. Mir kam es so vor, als hättest du mich erwartet, weil du bei meinem Eintreffen direkt neben der Tür gestanden hast. Ich war k. o., bevor ich mich richtig in deiner Wohnung umsehen konnte.«
Sie schmunzelt fröhlich. »Ach, das war purer Zufall. Ich kam gerade von der Toilette und habe die Geräusche an meinem Schloss gehört. Durch das Schicksal meiner Mutter war ich natürlich vor ungebetenen Gästen gewarnt. Ich konnte im letzten Moment meine Waffe schnappen und dich rechtzeitig ausschalten.«
» Wäre ich zwei Minuten eher in deiner Wohnung gewesen, hätte ich dich also problemlos beseitigen können«, stelle ich fest. Die Emotionslosigkeit in meiner Stimme lässt mich selbst frieren.
Hanna nimmt mir den Kommentar nicht krumm. »In dem Fall würden wir jetzt nicht hier sitzen«, konstatiert sie lediglich.
» Das Leben ist schon verrückt. Ich bin dennoch froh, dass es so und nicht anders gekommen ist.«
» Und ich erst!« Hanna zuckt mit den Schultern.
Ihr trockener Zynismus amüsiert mich. »Aber musstet du so hart zuschlagen? Wo hast du das überhaupt gelernt?«
» Ach was! Ich habe dich gar nicht mit voller Wucht erwischt. Die Stöcke haben einfach eine extrem hohe Schlagwirkung. Deswegen trägt man beim ‚Kendo‘ auch einen Schutzanzug. Ich betreibe den Kampfsport seit dem Tod meiner Mutter.«
» Du wolltest dich vor Leuten wie mir schützen«, behaupte ich.
» Nicht nur. Hauptsächlich konnte ich dort meine Aggressionen abbauen. Es war immer sehr befreiend. Niemand hat gerne mit mir trainiert.«
» Glaube ich gern«, nicke ich zustimmend. Ich nehme noch einen Schluck von meinem Kaffee und strecke meine linke Hand aus. Der Smalltalk ist vorbei. »Zeig mir die Unterlagen von deiner Mutter!«
Hanna ist von dem Themenwechsel nicht überrascht und greift in die I nnentasche ihrer roten Jacke. » Unterlagen ist zu viel gesagt. Es ist nur ein Blatt, aber das hat es in sich.« Sie reicht mir ein zusammengefaltetes A4-Blatt.
Ich nehme es gierig entgegen und streiche es glatt. Danach lese ich Pias Notizen.
Berlin, 22.04.2003
Persönliche Notiz von Spezialagentin Pia Waldenburg
Die Verstrickungen der Geheimorganisation ‚Vita brevis‘ in den Berliner Untergrund reichen tiefer, als ich anfangs dachte. Ihre Machenschaften wurzeln beängstigend stark in der rauen Kruste des kriminellen Milieus.
Heute habe ich einen kleinen Drogenkurier auf frischer Tat beim Verkauf von Kokain ertappt. Ich ließ ihm die Wahl, ob er mir mit Informationen aushelfen möchte oder ich ihn den Behörden übergebe. So einen kleinen Fisch kann man zur Not auch mal zurück ins Haifischbecken schmeißen. Er wird früher oder später von einem größeren Schlund verschlungen. Der Kleinkriminelle zögerte nicht lange und nannte mir unverzüglich seine Auftraggeber. Es waren wie so oft die üblichen Verdächtigen. Windige Hunde, die sich vor Gericht immer irgendwie um ihre Strafen drücken. Gerissenen Anwälten und gekauften Alibis sei Dank. Ich habe die meisten Namen schon an die zuständige Polizeidienststelle weitergegeben, rechne aber nicht mit Festnahmen. Einen Namen habe ich jedoch für mich behalten. Er ist mir bei meinen Recherchen bezüglich der ‚Vita brevis‘ schon einmal untergekommen. Es handelt sich um George Kingston, 38 Jahre alt, Auswanderer aus Kuba. Er hat einen hellbraunen Teint, braune Augen, kurzgeschorene Haare und ein auffällig vorstehendes Kinn. Der Mann ist ungefähr hundertachtzig Zentimeter groß und weist eine stämmige Statur auf. Ich habe ihn vor einer Woche für circa zwei Stunden beschattet und ihn im Kreuzberger Rotlichtmilieu beobachtet. Wohnhaft ist er im Stadtteil Neukölln.
Generell hat mich seine Anwesenheit in dem kleinen Bordell in Kreuzberg nicht überrascht. Er ging ein und aus wie ein Stammgast und begrüßte den Türsteher mit einer kleinen Umarmung. Ich weiß, dass dort einige Kunden der Vita brevis glücklich gemacht werden. Leider konnte ich noch nicht mit
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