Stossgebete - Ein Krimi aus dem Bayerischen Wald
Seite des Gasthofes war für eine überdimensionale Pinnwand leer geräumt. Darauf klebten Briefe, Zeitungsausschnitte und Fotos.
»Das ist die Schaltzentrale unserer Bürgerbewegung.« Victoria Stowasser stellte ihm einen Silvaner hin. »Geht heute alles aufs Haus. Wir feiern das dreißigste Mitglied unseres Bündnisses.«
»Gratuliere. Wie sind Sie denn auf die Idee gekommen?«
»Die Vorsitzende des Tierschutzvereins war vor Kurzem hier zum Essen, und wir sind ins Plaudern gekommen über die Mopsfledermaus und was man tun könnte, um diese einzigartige Spezies und ihren Lebensraum zu schützen. Und schwupps – schon war unsere Gruppe geboren, geleitet von der Vorsitzenden des Tierschutzvereins.«
»Ich sehe, Sie haben meinen Hinweis von früher verstanden.«
Victoria Stowasser zwinkerte ihm zu. »Und ob. Das macht richtig Spaß. Schauen Sie sich nur die letzten Veröffentlichungen an.«
Ein Artikel berichtete von der letzten Gemeinderatssitzung. Demnach bemängelte Bürgermeister Wohlrab, die Aufregung über die Mopsfledermaus grenze an Hysterie, wahrscheinlich sei alles nur eine Verwechslung. Er bezweifle, ob es diese Mopsfledermaus überhaupt gebe. Kein Mensch habe ihm bisher ein leibhaftiges Tier bringen können. Worauf der Vertreter der Opposition antwortete, es sei eine extrem scheue Gattung, deshalb sei sie auch sehr schwer zu entdecken, außerdem brauche sie Ruhe in ihrer gewohnten Umgebung, selbst Baulärm könne schädlich sein. Der Mann der Freien Wähler beantragte, die Mopsfledermaus als neues Wappentier der Gemeinde einzuführen, weil sie den Charakter des Ortes unterstreiche und gut fürs Image sei.
Eine Reportage schilderte die Spendenaktion des Heimatvereins, der selbst genähte Fledermausumhänge versteigerte, deren Erlöse dem Schutz des natürlichen Biotops dienen sollten. Der Vampirclub Twilight Passau e.V. hatte eigens einen Song zu Ehren der Mopsfledermaus komponiert: »Du bist das Dunkel der Nacht, da da, dein Biss ist eine Pracht, da da …«
Baltasar hörte auf zu lesen. »Was passiert als Nächstes?«
»Das kann ich Ihnen sagen: Wir werden zu einer Demonstration vor dem geplanten Sporthotel aufrufen, um die rücksichtslose Zerstörung des Lebensraums bedrohter Tierarten anzuprangern. Wenn es sein muss, kette ich mich an den Bauzaun.«
»Es gibt noch gar keinen Bauzaun.«
»Dann stelle ich eben einen auf. Das Foto würde sich gut in der Zeitung machen.«
Nach dem Essen nahm Baltasar sich die Adresse jenes Mannes vor, der laut dem Heimatpfleger Rossmüller mehr über die Vergangenheit Walburga Bichlmeiers wusste. Er hieß Hans Wittek und wohnte in Eppenschlag, einem verschlafenen Ort zwischen Grafenau und Regen. Baltasar kündigte telefonisch seinen Besuch an, lieh sich das Auto von Philipp Vallerot und fuhr zu Witteks Haus. Er überbrachte Rossmüllers Grüße und erklärte sein Anliegen.
»Er sagte, Sie könnten mir etwas über die ermordete Frau Bichlmeier erzählen.«
»Ich habe davon gelesen. Sie wurde umgebracht. Was für ein schreckliches Ende.« Wittek betrachtete seine Hände. »Es klingt schlimm, wenn ich das jetzt sage, aber es gab eine Zeit, wo ich … ich mir gewünscht habe, diese Frau wäre … wäre tot.«
»Wie lange ist das her?«
»Fast fünfundzwanzig Jahre. Ich war damals jung, ein halbes Kind, sechzehn Jahre alt.«
»Was ist geschehen?«
»Dazu muss ich etwas ausholen. Ich erinnere mich noch wie heute daran. Zu der Zeit hatte ich meine erste Freundin, Franziska. Sie war fünfzehn, stammte aus dem Nachbardorf. Anfangs war es nur Schmuserei, doch dann … Jedenfalls nutzten wir einen Nachmittag, als ihre Eltern unterwegs waren. Wir wurden miteinander intim. Es war für uns beide das erste Mal. Es war schön.« Er blickte Baltasar an. »Danach trafen wir uns regelmäßig. Dann passierte das, was wir nie geglaubt hätten: Franziska wurde schwanger.«
»Hatten Sie nicht vorgesorgt?«
»Heute im Rückblick war es natürlich hirnverbrannt, nicht an Verhütung zu denken. Richtig kann ich es mir auch nicht erklären. Wir dachten, uns betrifft das nicht, einfach aufpassen … War das naiv, mein Gott!«
»Hat Franziska es ihren Eltern gesagt?«
»Was glauben Sie denn – bei diesem Elternhaus. Da wäre der Teufel los gewesen. Wie auch immer, Franziska hatte eine Höllenangst vor den Folgen. Sie fühlte sich viel zu jung für ein Kind. Am Ende entschied sie sich für eine Abtreibung. Aber damit fingen die Probleme erst an.«
Wittek richtete sich auf. »Aus
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